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Carl Tillessen über ReCommerce und die moderne Konsumkultur

Aktualisiert: 20. Feb. 2022

Interview vom 22.12.2021

Nachdem ich das Buch Konsum von Carl Tillessen gelesen hatte, war ich zutiefst begeistert und auch gleichzeitig enttäuscht. Er hatte viele negativen Seiten des Konsums aufgeführt, also wie es dazu gekommen ist, dass so viele von uns ein so krankes Verhältnis zum Konsum haben, aber gar nichts über den Wandel des Konsums im Bereich Second Hand. Was ist denn nun mit ReCommerce? Können wir Secondhand nicht als Plazebo verwenden, um unsere Konsumsucht zu überwinden? Das wollte ich den Bestseller-Autor gern persönlich fragen und habe ihn um ein Interview gebeten.



In deinem Buch haben mir viele Passagen sehr gut gefallen, wie deine Analyse des Black Fridays. Du hast in dem Buch unser gestörtes Verhältnis zum (Über)-Konsum dargestellt, ohne aber darauf einzugehen, dass all die Dinge, die wir kaufen und nicht aufbrauchen, ein zweites Leben haben könnten. Es baut sich gerade ein neues Segment des Konsums auf, der 'ReCommerce'. Welche Rolle denkst du hat das Thema Gebrauchtwaren in unserer Konsumkultur?


Es haben sich in den letzten Jahren zwei Dinge vereinfacht die den 'Boom' von Gebrauchtwaren erst befeuert haben: 1. die Digitalisierung hat neue Möglichkeiten geschaffen, die Nachfrage nach Gebrauchtwaren mit dem passenden Angebot zusammenzubringen, und 2. der Peer-to-Peer Handel, wie z.B. bei Vinted, hat Secondhand hygienischer gemacht. Dadurch ist Secondhand sehr sympathisch geworden, denn man kann gut gepflegte Waren direkt vom Erstbesitzer kaufen.

Es ist aber auch die Generation Z, die diesen Trend vorantreiben. Sie ist die erste Generation, die in Fast Fashion und die dazugehörigen Preisstrukturen hineingeboren wurde. Die meisten Menschen in dieser Generation haben von ihren Eltern nur Fast-Fashion gekauft bekommen und von ihrem ersten Taschengeld ebenfalls Fast Fashion geholt. Wenn dann mit zunehmendem Alter das Qualitätsbewusstsein wächst, fällt der nächste Schritt schwer. Denn wir haben es ja mit einem polarisierten Warenangebot zu tun, das entweder sehr billig oder sehr teuer ist. Und es ist ein riesiger Schritt von dem ganz Billigen zu dem ganz Teuren zu wechseln. Da ist es leichter die Alternative in Secondhand zu sehen, denn da muss der Preisanker nicht erst verschoben werden. Bei Secondhand kann man ein schönes und hochqualitatives Produkt zu einem Fast Fashion Preis haben. Es ist für diese Generation daher ein naheliegender Schritt, Secondhand zu kaufen.


Glaubst du, wir sind an einem Zenit vom Secondhand, weil es gerade in Mode ist, Vintage zu kaufen, oder ist jetzt Secondhand gekommen, um zu bleiben? Und wie siehst du die Rolle der ReCommerce Unternehmen wie Momox und Rebuy?


Ich glaube, dass Secondhand kein kurzfristiger Trend, sondern eine langfristige Entwicklung ist.

Momox und die anderen haben es eben geschafft, das Einzelteil-Angebot mit der dazugehörigen Nachfrage zusammenzubringen. Sie sorgen dafür, dass jeder Topf seinen Deckel findet, sozusagen, und das sehr preiswert und effektiv. Dabei haben sie es auch geschafft, die Sachen sachgemäß zu behandeln und zu lagern. Die unsachgemäße Handhabung von gebrauchter Kleidung in früheren Jahrzehnten, hatte Secondhand eben auch das schlechte, unhygienische Image gegeben, welches es jetzt wieder zu wandeln gilt. Solche Firmen wie Momox, bzw. Plattformen wie Vinted haben entscheidend dazu beigetragen, dass sich das Image in den letzten Jahren bereits verbessert hat. Dadurch haben auch Menschen einen Zugang zu Secondhand bekommen, die diese Art von Kleidung früher kategorisch abgelehnt hätten.


Welche Chancen stecken deiner Meinung nach im ReCommerce, um unsere Konsumkultur zu beeinflussen?


An sich ist Secondhand ja großartig, denn das nachhaltigste Kleidungsstück, ist das was nicht extra produziert werden muss. Aber es ist eine Ilussion zu glaube, das diese schnelle Kultur, die durch Fast Fashion entstanden ist, bei der es darum geht, ständig neue Rollen oder Stile zu probieren, wieder weg gehen wird. Dieses Motto ‘Buy less, Choose well, Make it last’ ist zwar wünschenswert, aber ich sehe z.B. an meiner Tochter, wieviel es manchen Leuten bedeutet, sich z.B. jeden Tag für die Schule ein neues Outfit zu überlegen oder auf Social Media ein ‘Outfit of the Day’ zu posten. Dieses Verlangen, jeden Tag jemand anders zu sein und durch Kleidung in verschiedene Rollen zu schlüpfen und darin wechselnde Posen einzunehmen, das wird sich nicht mehr aus der Welt schaffen lassen. Trotz der ganzen Nachhaltigkeitsdebatte ist da eine Modekultur entstanden, die sich nicht abtöten lassen wird. Der Resell Markt ermöglicht aber irgendwo einen Weg, diese Kultur in einer ressourcenschonenderen Weise zu erhalten. Dieses schnelle Kaufen und Verkaufen entspricht zwar nicht dem Ideal, das gerade propagiert wird, bei dem wir uns für etwas entschieden, dass wir dann jahrelang tragen, ist aber um ein Vielfaches besser als das schnelle Kaufen und Wegwerfen von Neuware, das bisher praktiziert wurde. Es ermöglicht, sich kurz mit etwas auszuleben, das dann zum Nächsten kommt, der damit das gleiche tut.


Ja, das passt ja auch in das neue Leben, in dem wir keinen Job mehr für das Leben haben, sondern nur für ein paar Jahre, wenn überhaupt.


Ja, du sagst es. Und es liegt nicht immer an uns, wenn sich unser Leben und damit unser Kleidungsstil ändert. Ich schaue zum Beispiel auf all die Anzüge in meinem Schrank, die ich seit Corona nicht mehr trage, und frage mich, ob ich es jemals wieder werde. Und ReSell bietet eben auch die Möglichkeit, uns an solche Veränderungen anzupassen.


In meinem Blog schreibe ich ja über Alternativen zu Neuwaren, wozu auch Mieten zählt. Es gibt Dinge, da wissen wir schon von vornherein wissen, dass wir sie nur befristete Zeit brauchen. Wie stehst du dem gegenüber? Hat Miete für dich eine Chance in unserer Konsumkultur?


Darüber hatte ich in meinem Buch ja ein kurzes Kapitel geschrieben. Leider ist ja noch nicht bewiesen, ob sich die Tragedauer von modischer Kleidung durch die Miete tatsächlich verlängert. Denn auch beim Mieten von Mode ist es ja so, dass alle immer die aktuellsten Artikel ausleihen wollen und nicht die der letzten Saison. Eine Ausnahme sind vielleicht Klassiker wie eine Kelly Bag, die man mietet, weil sie einem zu teuer sind. Es bleibt also noch zu bewerten, ob Vermietung unterm Strich wirklich etwas für die Nachhaltigkeit tut, besonders im Verbund mit dem Versand. Dazu gibt es noch keine Zahlen. Ein Aspekt der bei den Mietkonzepten oft übersehen wird, ist aber die Verknüpfung von Besitz und Stolz. Der Stolz stellt sich nur mit dem Status ein, den man erhält, wenn man etwas besitzt. Beim Mieten hingegen, bringt einem keinen Status und damit auch keinen Stolz. Es ist eben nicht das Gleiche, ob man ein teures Auto besitzt oder nur geliehen hat.


Welche Risiken denkst du verstecken sich im ReCommerce und im Resell?


Bei ReCommerce besteht eben die Gefahr da, dass es zu einem Rebound Effekt kommt, weil es so einfach ist, Ware auch wieder abzugeben. Wenn man die Nutzer von Secondhand Plattformen befragt, kommt der Aspekt der Nachhaltigkeit ohnehin immer erst an dritter Stelle. Die Ersparnis und die große Auswahl sind ihnen fast immer viel wichtiger. Oft werben diese Plattformen auch mit Slogans wie: “Mach deinen Kleiderschrank zu Geld” oder “Mach Platz für Neues”. “Mach Platz für Neues” ist alles andere als ein nachhaltiges Argument, ganz im Gegenteil. ReSell kann also eben auch zu einer Beschleunigung des Konsums von Mode führen. Das verdiente Geld, oder die Gutschrift werden direkt in Neuanschaffungen investiert. Und es gibt auch Zahlen, die darauf hindeuten, dass das Geld, das man mit der Secondhand Mode spart, in zusätzlich Fast Fashion gesteckt wird. Wir sprechen hier aber immer noch von Risiken, da wir noch nicht genau wissen in welchem Ausmaß das passiert. Am Ende bleibt aber natürlich unbestritten der Satz: das nachhaltigste Kleidungsstück ist das, welches es schon gibt. Da kann auch ein ökologisch hergestelltes Kleidungsstück nicht mithalten.


Vintage ist ja gerade der Trend. Mich würde interessieren, denkst du Secondhand ist gerade noch ein Trend weil wir noch Vintage haben? Und wenn Vintage nicht mehr da ist, denkst du, die Akzeptanz von Secondhand wird bleiben?


Ja, die wird bleiben. Denn immer wieder ist die Modeindustrie, so schnell sie auch sein mag, eben auch zu langsam. Es gibt immer Comebacks von Dagewesenen. Und es gibt immer eine Avantgarde, die sich etwas Dagewesenes aussucht und trägt zu einem Zeitpunkt an dem es vom Mainstream noch als Bad Taste und deswegen als unverkäuflich betrachtet wird. Solange bis es dann Mainstream wird und sich die Marken darauf stürzen, nährt der Trend sich aus Kleidungsstücken, die bereits da sind.

Das haben wir wieder einmal gesehen, als die Looks der 90er und 00er Jahre anfingen, wieder Mode zu werden. Auch wenn die Mode schnell ist, so war sie doch zu langsam, um diese Nachfrage zu diesem ganz frühen Zeitpunkt zu decken. Und manchmal ist ein Trend so kurzlebig, dass der Mainstream gar nicht aufsteigt. Da ist dann ReSell schneller und kann die Lücke schließen und die Nachfrage bedienen. Und dann kann eben das alte Backstreet-Boys- und Britney-T-Shirt funktionieren. Abgesehen davon hat das Original auch immer einen besonderen Reiz gegenüber dem Replikat.


Meine Erkenntnis aus meinem Ankauf Startup ist ja leider, dass ich sehe, dass Leute gar nicht mehr gut zwischen Vintage und Secondhand bzw. zwischen hochwertiger Kleidung und minderwertiger Kleidung unterscheiden können. Meine These ist ja, dass die Markenkunde die Materialkunde komplett abgelöst hat. Sie verlassen sich sehr auf die Marke. Wie siehst du das?


Das ist ganz sicher so, dass da eine Kultur verloren gegangen ist. Gerade auch durch unser Leben im Netz sind die Fotos der Dinge wichtiger geworden als das Erleben der Dinge selbst in der Realität. Heute suchen wir Dinge auf der Grundlage von Fotos aus und leben diese Dinge durch die Fotos, die wir davon teilen. Und auf Fotos geht es eben weniger um das Material, dessen Qualität, den Tragekomfort und den Griff. Und gleichzeitig hab ich ein bisschen die Hoffnung, dass mit einem wachsenden Bewusstsein für Nachhaltigkeit auch das Bewusstsein für Materialien wieder wächst. Dass Leute wieder wissen wollen, was sie da kaufen, und verstehen, welche Schwierigkeiten Mischgewebe auf allen Ebenen global verursachen. Und sich auch im Hinblick auf die neue angestrebte Kreislauffähigkeit Gedanken dazu machen. Derzeit gibt es Mindestinformationen, die in einem Kleidungsstück stehen müssen. Dazu zählt das Material und das Herstellungsland. Beide Informationen sind dort aber vor allem für den Zoll und nicht für den Käufer angebracht. Insofern müssen diese elementaren Informationen in Online Shops nicht dargestellt werden. Ich finde aber, dass auch der Verbraucher im Moment der Kaufentscheidung ein Recht auf diese Informationen hat. Im stationären Geschäft kann er immer auf das Label mit der Materialzusammensetzung schauen. Online geht das leider nicht. Ich hoffe dass es bald Regelungen geben wird, die das ändern werden. Dann darf in einem Onlineshop in der Artikelbeschreibung z.B. nicht mehr einfach nur ‘Hose aus Wollmischung’ stehen, sondern dann muss dort ‘Hose aus 15% Wolle und 85% Polyester’ stehen. Ich finde, das ist nicht nur für den Zoll, sondern auch für den Konsumenten eine wichtige Information.


Was mir dabei immer fehlt, ist die Verbindung zwischen Kaufentscheidung und Impakt. Also die Kausalität zwischen meiner Entscheidung und globaler Auswirkung. Z.B: die Baumwollproduktion in Kasachstan hat verheerende Folgen für Land, Menschen und Umwelt dort. Ich denke, wenn man Menschen bei ihrer Kaufentscheidung sagen würde, was ihr Kauf für Folgen hat, könnten sie besser entschieden. Viele in der Industrie sagen aber dann, der Kunde möchte das nicht wissen. Er möchte lieber in Unwissenheit bleiben, ja sogar belogen oder verblendet werden, damit er sich nicht ändern und verantworten muss. Seine Faulheit, sich selbst zu erkundigen, zeige das. Wir sehen das vor allem mit der neuen Thematik der Nachhaltigkeit wo ein ‘Tag’ oder ein Buzzword genügt. WIe siehst du das, möchte der Kunde belogen werden?


Da bin ich ganz auf deiner Seite und sage, der Verbraucher ist ohnehin schon so bequem und belügt sich selber. Damit wir erwarten können, dass er in Zukunft mit sich selbst etwas strenger ist, braucht er möglichst viele vertrauenswürdige Informationen. Die sind leider selten. Es ist widerlich, was an Greenwashing passiert. Eine Studie der Changing Markets Foundation hat festgestellt, dass 59% der Nachhaltigkeitsversprechen der Modebranche gelogen sind. Bei der H&M Gruppe erweisen sich bei näherer Betrachtung sogar 96% als Greenwashing. Dieses Verhalten der Unternehmen zeigt, dass man eigentlich eine Grundskepsis gegenüber fast allen Unternehmen und Markendarstellungen haben sollte und wohl auch muss. Diese Studie zeigt aber eben auch, dass es immer wieder dieselben Unternehmen sind, die bereits in der Vergangenheit mit Umweltskandalen oder Arbeitsrechtsverstößen in Verbindung gebracht werden konnten, die auch jetzt Greenwashing und Fairwasching betreiben. Wenn an einem Teil von H&M ein grünes Etikett hängt, sollte man also grundsätzlich skeptischer sein, als wenn dieses Etikett an einem Teil von Hessnatur hängt.


Eine andere Möglichkeit ist natürlich auf Siegel zu achten. Zwar sind auch sie kritisch zu betrachten, da sie immer nur begrenzte Aspekte eines Produktes und seiner Herstellung beleuchten, aber im Moment sind dies für Kunden die einzig zuverlässigen Anhaltspunkte, die sie haben, um sich ein Bild zu machen. Mir sind dabei Siegel wichtig, die nicht nur die Umweltverträglichkeit sondern auch die Sozialverträglichkeit beachten. Ich will ja keine Kleidung aus Bio Baumwolle, die mit Sklavenarbeit von Uiguren geerntet wurde.


Ich hatte letztes Jahr ja Kontakt zu ISAPAK von H&M. Das war ja auch eher ein Versuch, grün zu wirken als wirklich grünes zu tun. Mich stört, dass bei solchen Versuchen auch so viel kaputt gemacht wird, was eigentlich von anderen Unternehmen besser und ernster gemeint ist. Große Unternehmen kommen aber mit einem unglaublichen Finanzvolumen rein und machen dann viele Kleine kaputt, ohne es wirklich ernst zu meinen.


Ja, ich beobachte das häufiger. Dabei wird oft in ähnlichen Strukturen gearbeitet: separate Teams oder Agenturen werden damit beauftragt, ‘Greenwashing’ zu betreiben. Diese agieren aber völlig abgekoppelt von den Strukturen des Unternehmens, haben oft noch nicht mal Kontakt zu den Entscheidungsträgern im Unternehmen und dadurch auch null Einfluss auf Entwicklungen. Es wird quasi ein öffentlichkeitswirksames kleines Parallelunternehmen aufgebaut, das eine Kulisse schafft. Und hinter dieser Kulisse läuft im eigentlichen Unternehmen alles wie gehabt weiter.


Denkst du, wir kommen zu einer Konsumkultur, in der man sich irgendwann mit dem Alter seiner Dinge profilieren kann?


Ich würde sagen, wir haben das schon in Ansätzen. Es gibt junge Menschen, die eine Faszination haben für gebrauchte Dinge, mit einer Geschichte und einer Patina, wie sie die Dinge, die für sie neu angeschafft wurden, noch lange nicht haben. Sie haben für diese Dinge eine besondere Wertschätzung, weil sie in einer Welt aufwachsen sind, in der es wenig alte, gute Dinge gibt.

Wenn man sich jetzt z.B. die Modenschauen von Gucci anschaut, gibt es auch diese Tendenz, Kleidungsstücke absichtlich unpassend zu stylen bzw. zu tragen. Damit erzeugt man den Effekt, bzw. die Idee, dass die Kundin dieses Teil nicht für sich selbst gekauft hat, sondern es von jemand anderem geerbt oder bekommen hat – die Größe passt nicht genau, aber man trägt es trotzdem. Ich deute auch das als Zeichen einer steigenden Wertschätzung für Dinge, die schon da sind und nicht ‘Boxfresh’ für einen gekauft wurden.



Dank Carl für das Interview. Es war mir eine Ehre.


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