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Doris Schoger

Menschen müssen wieder lernen, Arbeit wertzuschätzen –Interview mit Nils von MOOT

Aktualisiert: 28. Okt. 2020

Ich hatte im letzten Wochenbericht schon über die NochMALL geschrieben. Kurz zusammengefasst: sie liegt etwas weiter draußen, also nicht zentral in Berlin und man kann da tolle Schnäppchen ergattern, da die Leute ihre Dinge dort kostenlos abgeben. Auch wusste ich, dass in der NochMALL ein Platz für Gast-Konzepte reserviert ist. Bei Instagram hatte ich dann gesehen, dass die Marke MOOT, was von 'Made out of Trash' kommt, dort einen Pop-Up Store eröffnet. Ich muss gestehen, dass ich mich schon gewundert habe, wie das denn zusammenpasst, die Schnäppchenjäger und das Premium-Upcycle Konzept. (Wer nicht weiß was Upcycling ist, findet die Antwort hier).


Schnell auf Instagram gefragt ob ich zum Interview vorbeikommen darf und schwups war ich schon dort. Also was ist MOOT und was machen die? Die Antwort auf diese und noch mehr Fragen hier im Interview mit dem Gründer Nils.


Mit-Gründer Nils Neubauer

Nils, magst du dich kurz vorstellen?


Ich komme ursprünglich aus dem Ruhrgebiet und habe hier in Berlin vor drei Jahren meine Ausbildung zum Modedesigner am Lette Verein in Berlin begonnen. Im Zuge dessen habe ich aber schnell gemerkt, dass die Modeindustrie, in die ich langsam reinwuchs, leider gar nichts für mich ist, da da unfassbare Sachen passieren, die nun eigentlich jeder kennt. Die wenigsten wollen diese Tatsachen aber wahrhaben. Im zweiten Semester hatte ich mich schon damit auseinandergesetzt und wollte einen anderen Weg gehen. Ich wollte nicht wie andere neue Stoffe kaufen, sondern gebrauchte Stoffe verwenden.


Wie bist du das angegangen?

Ich bin hier in Berlin zum Textilhafen (Oh, wer erinnert sich. davon habe ich gerade im letzten Wochenbericht geschrieben. Hier habe ich auch Sachen abgegeben) der Stadtmission gegangen. Stadtmission sortiert dort die Spenden, die eigentlich von Berlinern für Berliner Bedürftige abgegeben werden. Dort landen auch viele Spenden, die sie so nicht für ihre Arbeit brauchen können. Im Textilhafen werden die Spenden sortiert und aus dem, was sie nicht brauchen, neue Konzepte entwickelt. Dort habe ich Säcke mit aussortierten Textilien genommen und daraus eine Kollektion gemacht. Seit dem zweiten Semester habe ich dann gar nichts anderes mehr gemacht, sondern für meine Kollektionen immer wieder weggeworfene Sachen verwendet.


Wie kam es dann zur Gründung von MOOT?


Ich hatte einen guten Freund, Michael, in Lisabon besucht, der dort BWL studierte. Ihm habe ich dann erzählt, dass ich gar nicht weiß, wer nach meiner Ausbildung mein Arbeitgeber sein könnte. Für mich stand nur fest, dass ich nicht in einem kommerziellen Modeunternehmen arbeiten möchte. Ich erzählte ihm auch, dass ich es cool finden würde, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Er bestärkte mich dann in dem Gedanken und meinte, wir sollten das einfach mal testen. So wurde dann die Idee zu MOOT geboren. Das war vor etwa einem Jahr.

Und seit drei Monaten gibt es die ersten Sachen online. Unser erstes Produkt sind T-Shirts aus aussortierten Jersey-Bettwäschen.


Wo bekommt ihr die her?


Wir arbeiten eigentlich immer noch mit dem Textilhafen zusammen. Wegen Corona mussten die sich allerdings auf die Obdachlosenhilfe fokussieren. Deswegen haben wir uns auf die Suche nach weiteren Partnern gemacht und sind auf eine herkömmliche Sortierung in Quakenbrück bei Niedersachsen gestoßen. Wir bekommen derzeit noch einen Teil aus Berlin und aus Niedersachsen. Wir versuchen möglichst viel aus der Stadtmission zu beziehen, weil die damit ihre sozialen Projekte unterstützen, aber die haben einfach auch nur eine gewisse Kapazität. Wenn wir dann 100 Kilo brauchen, kommt dann eben nur ein Teil, soviel wie sie eben gerade haben, von ihnen.


Und wo produziert ihr?


Wir produzieren an zwei Standorten: einen Teil hier in Berlin in Wedding im USE, das ist eine soziale Einrichtung für Menschen mit psychischen Erkrankungen und den anderen Teil in Berlin Weißensee bei einer herkömmlichen kleinen Näherei. Auch aus eben den Gründen, dass die USE nur eine bestimmte Menge nähen kann. Wenn die Menge zu hoch ist, kann das USE nicht mehr machen, da gerade dort Menschen arbeiten, die mit Drucksituationen nicht umgehen können. Die dürfen machen soviel sie können und wollen und das füllen wir mit den Sachen von Weißensee auf.

Damit haben wir mit der Stadtmission und mit der USE zwei soziale Partner, die man dann mit einem T-Shirt, dass man bei uns kauft, auch unterstützt. Wir zahlen für die Stoffe deutlich mehr als ein Textilentwerter und zahlen faire Löhne. Das ist uns wichtig.

Wie würdest du eure erste Kollektion beschreiben?


Das ursprüngliche Problem das wir hatten ist, dass man mit soviel verschiedenen Stoffen keine einheitliche Kollektion hinbekommt. Jedes T-Shirt sieht anders aus. Ursprünglich wollten wir alles Schwarz überfärben, aber da die Bettwäschen ja schon gefärbt sind und Textilfasern nur eine bestimmte Menge an Farbe aufnehmen, bleibt das Muster immer noch erkennbar. Die meisten gehen danach in eine Petrol-Antrazit-Grau-Richtung, aber es kommt wirklich auf die Bettwäsche an, manche sind danach immer noch Rot. Wir bieten aber auch einfarbige T-Shirts an, die sind dann nur schwarz, da das Grundmaterial eine unbedruckte Bettwäsche war.


Also weiß man gar nicht, was man online kauft?


Mann kann Uni-Farben wählen, dann bekommt man sicher ein graues oder schwarzes T-Shirt. Wir haben aber gemerkt, dass Kunden es super finden, sich überraschen zu lassen. Es ist eine Wundertüte. Wir haben zwar Beispielbilder auf der Webseite, aber wir forografieren nicht jedes T-Shit einzeln für den Verkauf. Wir möchten auch die Marketingkosten gering halten. Aber falls ein Kunde ein T-Shirt bekommt und es ihm nicht gefällt, sind wir gerade noch in der Lage das einzeln zu bearbeiten und tauschen es um. Wir versuchen zwar so wenig wie möglich zu versenden, aber das was wir verschicken ist CO2-Neutral. Deswegen sind auch stationäre Shops, wie wir den gerade hier machen, wichtig. Da sehen die Kunden was sie dann bekommen. Wenn man das Konzept der Pop-Ups ausweitet, kann ich mir auch gut vorstellen, das wir mal T-Shits herstellen die garnicht gefärbt werden, wenn das Muster toll ist. Dann werden die T-Shirts auch billiger, da ein Arbeitsschritt wegfällt.


Mit was färbt ihr?


Die Farbe ist Öko-Tex zertifiziert. Das Nachhaltigste was möglich ist, außer pflanzliche Farben. Dafür sind unsere Mengen noch zu klein. Aber wir sind dran, da brauchen wir größere Mengen. Da wo wir gerade färben, geht das auch nur, weil die uns ja unterstützen, normal wären wir auch für die zu klein.



Wer sind eure Kunden?


Am Anfang waren es nur Freunde und Familie, aber nachdem wir in ein paar Medien erschienen sind, haben wir dann für unsere Verhältnisse viele Bestellungen bekommen. Bei denen würde ich sagen waren es zu 70% Frauen, was an den Medien gelegen haben kann. Und die kamen nicht nur aus der Großstadt, sondern auch aus kleineren Ortschaften. Das ist auch unser Ziel, wir möchten nicht nur in Berlin bekannt werden, hier, glauben wir, ist das Konzept von nachhaltiger Mode schon bekannt. Wir verfolgen auch eine Aufklärungsmission. Ich bin selbst aus einem kleinen Dorf und weiß, dass Leute dort meist wenig Berührungspukte mit Mode haben.


MOOT steht ja für 'Made Out Of Trash'. Aber eine Bettwäche ist ja nicht wirklich Müll, die könnte ja noch genutzt werden.


Ja, der Name ist ziemlich plakativ aber so soll er auch sein. In den Gesprächen mit unseren Partnern haben wir auch gesehen, dass die Ware, die da zu den Sortierern kommt, gar nicht mehr in ihrer eigentlichen Verwendung genutzt werden kann. Oft haben die dann Löcher, die wir für die Näherinnen markieren, damit sie die Schnitte geschickt setzten, sodass wir den Stoff noch nutzen können. Und es kommt soviel an, dass es auch wenn die Teile noch nutzbar sind, eher in das Downcycling gehen oder gar verbrannt werden. Wir werten sie wieder auf. Die Leute verwenden die Altkleidercontainer, nach den Aussagen unserer Partner, immer mehr wie Mülltonnen, da finden sich die kuriosesten Dinge wieder. Deswegen ist es gut, dass der Name so plakativ ist. Wir möchten zeigen, welcher Wert und welches Potential noch in solchen Stoffen steckt.


Was dürfen wir von MOOT noch erwarten?


Wir planen noch weitere Sortimente, natürlich auch aus aussortierten Stoffen, wie eine Daunenjacke aus ausrangierten Oberbetten als Füllung und imprägnierter Bettwäsche als Oberstoff. Aber das sind nur Sachen die wir realisieren können, wenn die jetzige Kollektion funktioniert und wir existieren können. Wir haben gerade eine Start Next Kampagne für die nächsten Produkte gestartet (Hier ist der Link zur Start Next Kampagne). Derzeit finanzieren wir uns komplett selbst.


Gründer Michael Pfeifer und Nils Neubauer im Start Next Video


Investoren wollt ihr nicht?


Nein, wir möchten uns nicht unter Wachstumsdruck setzten lassen. Wenn die Kampagne funktioniert, dann kann ich als Modedesigner weiter arbeiten. Sobald ich durch die Sortierung gehe, habe ich 1000 Ideen und einfach Lust etwas zu entwickeln.



Da wir das Interview am Stand von MOOT gemacht haben, den Nils übrigens selbst gebaut hatte, kamen ab und zu Menschen auf ihn zu, die Informationen zu den T-Shirts wollten. Vor allem zum Preis. Nils erzählte mir nachher, dass die Reaktionen manchmal sehr negativ ausfallen, wenn die Menschen realisieren, dass die T-Shirts 49 Euro pro Stück kosten. Wir unterhielten uns anschließend noch darüber, dass die NochMALL viele Schnappchenjäger anlockt, die nicht gerade in der Stimmungslage sind, 49 Euro für ein T-Shirt auszugeben. Da hilft leider auch das große Schaubild mit den transparent aufgezeigten Kostenstruktur der T-Shirts nicht. Soviel Geld für ein T-Shirt aus alter Bettwäsche? Da denken viele an Abzocke und Verarschung und da fiel auch schon die ein oder andere Beleidigung Nils gegenüber. Nils meint, die Menschen seien versaut von den Preisen, die andere 'möglich' machen, ohne zu verstehen, dass es nur möglich ist, weil es unmoralisch ist. Moralisch sind solche Preise nicht, trotzdem erzählen uns die 'großen' aus der Modeindustrie auf Hochglanzplakaten, dass es möglich ist. Nils meint noch, er ist den Menschen auch gar nicht böse, er kann nur versuchen aufzuklären und so transparent sein, wie möglich.


Meiner Meinung nach, hat Green & Social-Washing die Menschen noch mehr versaut, als es die Abwanderung der Modeindustrie in Billiglohnländer hat. Natürlich könnten Nils und Michael mit mehr Mengen auch günstigere Preise kalkulieren, aber die haben sie gerade noch nicht. Deswegen kostet ein T-Shirt gerade was es kostet, aber nicht mehr als es muss.

Unter jedem T-Shirt auf der Seite ist die Kalkulation des T-Shirts nämlich gelistet.




Ich meinte noch zu Nils, er wäre wohl in Berlin Mitte mit dem Konzept besser aufgehoben, wo die Menschen in dem Moment ein anderes Mindset bzw. einen anderen Preisanker im Kopf haben. Dann kaufte ich mir ein MOOT T-Shirt und beschloss, dass es nicht gegen meine selbst auferlegten Regeln verstoßt. Es ist in meinen Augen nicht neu, sondern Secondhand, nur in eine andere Form gebracht. Außerdem hing das T-Shirt mit dem Streifenmuster während des ganzen Interviews in meinem Sichtfeld und ich wusste ca. in der Mitte, dass ich es kaufen wollte.


Mein MOOT T-Shirt.


Quellen:

moot.eco

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