Beim Schreiben des Artikel 'Wo bekommt ein Second Hand Store seine Sachen her?', bin ich über den Altkleider Wholesale gestolpert. Genau, daher wollte ich unbedingt mehr darüber wissen. Die meisten Wholeseller sitzen scheinbar in UK, das ergab meine Recherche. Den einzigen High-Quality Vintage Wholeseller, den ich in Deutschland gefunden habe, sitzt ganz bei mir in der Nähe und zwar direkt in Berlin. Also perfekt für ein Interview!
Die Nachfrage für Vintage Kleidung ist groß, sogar sehr groß. Deswegen hat der Besitzer und Geschäftsführer von Vintage Wholesale Berlin, Oliver Helbig, alle Hände voll zu tun. Daher habe ich mich riesig gefreut, dass er Zeit gefunden hat mich auf einen Kaffee in Kreuzberg zu treffen und mir ein paar Fragen zu beantworten. Hier nochmal ein riesiges Danke an ihn!
Wie bist du zum Vintage Wholesale gekommen?
Eigentlich per Zufall. Meine damalige Freundin wollte ausmisten und sie und ihre Familie hatten relativ viel Kleidung von guten Marken und hoher Qualität. Wir haben jedes Teil gut fotografiert und beschrieben und bei eBay eingestellt. Sie hatte dann die Idee mit dem Fokus auf 'Vintage' Kleidung und wir haben begonnen, Kleidung hinzuzukaufen. Sogar einen eigenen Shop haben wir gebaut: Goldvintage hieß der. Damals gab es noch kein Shopify und wir mussten dafür richtig Geld hinlegen um den Shop bauen zu lassen. Den Shop gibt es heute nicht mehr.
Nach der Trennung habe ich mich dann 2013 auf Wholesale fokussiert, also Ware an Läden zu verkaufen und nicht mehr an Endkunden, da mir bewusst geworden ist, wie unheimlich schwer es ist, gute Ware für einen Vintage–Laden zu besorgen. Ich wollte für die Vintage Boutiquen top saubere, qualitätsgeprüfte und gewaschene Ware anbieten. Mein Ziel war es, dass sie gezielt Einzelteile auswählen können, die wirklich zu ihrem Laden und zu ihren Kunden passen.
Wie unterscheidest du Vintage und Second Hand?
Ja, manche sagen, es muss mindestens 20 Jahre alt sein, andere dreißig, dabei ist der Kern von Vintage eigentlich die Art und Weise, auf die die Ware hergestellt wurde. Also all das, was vor Sweatshops produziert wurde, eben unter menschenwürdigen Arbeitsbedingungen. Die Wende kam so ca. in den 90er Jahren, als viele Marken ihre Produktion aus Europa nach Asien verlegt haben. Man merkt den Unterschied einfach in der Qualität, der Verarbeitung und den Materialien.
Welche Trend hast du in den letzten Jahren bei Vintage kommen und gehen gesehen?
Jeder schreit gerade nach den dicken Logos von Nike, Adidas, Champion, Kappa und co. Das sehe ich als etwas kritisch. Es wurde eben nur eine bestimmte Anzahl produziert und die Nachfrage ist jetzt größer als die Produktion damals war. Viele Läden verwenden jetzt die coolsten Teil für das Marketing, aber wenn man in den Shop kommt oder klickt, hält der nicht, was er dem Kunden versprochen hat. Deswegen folgen wir Trends nicht blind, wir stellen uns da breiter auf. Trends kommen und gehen, aber Qualität und seriöse Arbeit bleibt. Die ist Trend unabhängig.
Ja, ich habe gesehen, dass es sehr viele Instagram Accounts gibt, die Second Hand anbieten. Arbeitet ihr mit denen zusammen?
Nein. Am Anfang haben wir das gemacht, aber deren Geschäftsmodell, falls es so etwas bei denen gibt, ist nicht darauf aufgebaut, ein funktionierendes Geschäft auf die Beine zu stellen.
Wenn sie allerdings planen, ein seriöses Geschäft mit qualitativer Vintage Ware aufzubauen, supporten wir sie gerne.
Wie siehst du den Aspekt der Nachhaltigkeit bei Second Hand und Vintage, der Pusht die ganze Branche ja gerade verstärkt?
Darüber lässt sich streiten. Natürlich ist es gut, dass etwas, was es schon gibt, weiter genutzt wird. Es werden dadurch weniger Chemikalien verwendet, es gibt weniger Kinderarbeit oder Ausbeutung der Arbeiterinnen und man nutzt keine neuen Ressourcen. Aber der ganze Versand ist nicht sehr nachhaltig. Second Hand und Vintage überquert auch die Meere, also legt extrem weite Wege zurück, was vielen nicht bewusst ist.
Auf eurer Webseite sind mir drei Sachen aufgefallen, die ich besonders gut finde. Erstens wascht und reinigt ihr alles, zweitens prüft ihr alles auf Mängel und zuletzt dürfen sich die Geschäftskunden jedes Teil einzeln aussuchen.
Ja genau. Mir ist es wichtig, dass die Sachen von guter Qualität sind, das ist unser Mehrwert, den die Kunden bei uns bekommen und der Grund, weshalb sie mit uns abreiten wollen. Dazu gehört es auch, dass die Sachen sauber sind und auch sauber riechen. Ich habe nie nur mit alten Kleidern gehandelt. Keiner will mehr diesen Muff-Geruch im Vintage Laden, den man von früher kennt. Außerdem soll jeder Kunde nur die Dinge zu sich in den Laden bekommen, die er auch verkaufen kann, deswegen verkaufen wir nichts im Paket / Bulk. Wir haben nichts davon, wenn Ware beim Kunden liegen bleibt, weil er sie nicht verkaufen kann. Wenn man sich das Google Ranking und unser Wachstum ansieht, sagt es mir, dass es die richtige Strategie ist und das, was unsere Kunden brauchen.
Ich habe auch gesehen, dass ihr Video-Chat Appointments anbietet, bei denen die Kunden noch nicht einmal nach Berlin kommen müssen. Wie sieht so ein 'Einkauf' bei euch aus ? Und wart ihr auch vor Corona schon so digital?
Ja, das machen wir schon immer. Wir haben Kunden auf der ganzen Welt und auch in kleineren Orten, die nicht so gut angeschlossen sind. Besitzer vergessen oft, dass sie der teuerste Mitarbeiter im Laden sind und verlieren viel Zeit mit Einkaufstrips. Zwar ist es schön, den Kunden zu zeigen und zu erzählen, wo man überall für sie einkauft, aber wirklich machbar ist das auf Dauer nicht. Wir wollen ihnen ermöglichen, sich auf das zu konzentrieren, was wichtig ist für ihren Laden: das Verkaufen und Vermarkten. Wir unterstützen sie in der Beschaffung und dazu zählt auch ihnen Zeit einzusparen, neben der hohen Qualität der Produkte. Trotzdem wollen wir ihnen ermöglichen, sich jedes Teil einzeln auszusuchen und genau das zu bekommen, was sie brauchen. Sie kennen ihre Kunden am Besten. Wir machen lediglich eine kleine Vorauswahl und senden garantiert nichts Defektes oder Verschmutztes an sie raus. Wir arbeiten auf die effizienteste Weise für unsere Kunden.
Wie kann ich mir so ein Video-Chat-Einkauf-Appointment vorstellen?
In der Regel sind wir zwei Monate im Voraus ausgebucht, daher ist es derzeit gar nicht so leicht, einen Termin zu bekommen. Aber im Grunde funktioniert es so: man geht auf unsere Webseite und schaut sich unsere Beispielbilder und Preise an, damit schalten wir dann auch gleich die Übersetzungsfehler aus. Zum Beispiel versteht man in jedem Land etwas anderes unter Jumper, Sweater und Pullover. Wenn einem zusagt, was man auf unserer Seite sieht, bucht man online einen Termin mit uns für ein Video-Chat-Einkauf-Appointment oder Handpick in Berlin. In Durchschnitt dauert so ein Video-Chat Meeting 3 Stunden. Der Kunde sagt uns im Vorhinein, an welchen Kategorien er interessiert ist und dann gehen wir unser Sortiment mit ihm über die Kamera durch und beantworten Fragen zu jedem Teil. Bei uns ist alles sehr gut organisiert, hängt nach Kategorien sortiert auf Kleiderbügeln. Etwa 70% unserer Kunden treffen wir per Video Chat.
Habt ihr eine Mindestabnahmemenge?
Ab 30 Teilen ist man bei uns schon dabei und wir versenden noch am gleichen Tag. Wir haben da eine geringe Stückzahl angesetzt, so dass auch Läden, die gerade erst starten, unterstützt werden können. Zu unseren Kunden gehören aber auch Läden in Ländern, in denen es schwerer ist, ein Vintage Business aufzubauen. Für mich ist es wichtig langfristig mit Leuten zusammenzuarbeiten, die auch Erfolg haben.
Und jetzt die Frage die ich mir aufgehoben habe: Woher bezieht ihr eure Waren?
Es ist nicht entscheidend wo die Ware herkommt. Es ist wichtig, dass man qualitätsbewusste Partner hat, die Wert auf langfristigen Geschäftsbeziehungen miteinander legen.
Gerade in der Altkleider, Second Hand und Vintage Branche gibt es auch viele Hochstapler, die schnell wieder weg sind. Mir ist bei all meinen Partnern und Kunden eine langfristige, erfolgreiche Zusammenarbeit wichtig. Keiner muss reich werden, aber alle sollen gut davon leben können.
Wie soll es bei euch weitergehen? Was sind Pläne für die Zukunft?
Wir konzentrieren uns ausschließlich auf Vintage Kleidung und unsere gewohnte Qualität. Das stellt sicher, dass alle Beteiligten auf Dauer Spass an der Zusammenarbeit haben. Da die Kunden aber derzeit so lange auf Termine warten müssen, ist die Herausforderung, gerade mit der bestehenden Qualität zu wachsen, um mehr Kunden gleichzeitig oder zeitnah bedienen zu können. Bei der Qualität machen wir keine Kompromisse, erst als zweites kommt Wachstum.
Nach der letzten Frage musste Oliver auch wieder weg. Danke Oliver für das Interview, ich habe wieder viel gelernt.
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