Jeder von uns kennt es: wir haben Klamotten im Schrank, Schuhe im Regal, Taschen an der Kommode und Accessoires in der Schublade, die wir als Fehlkäufe bezeichnen würden. Mal brandneu, mal nur einmal getragen oder kaum genutzt. Bei unserer Garderobe lässt sich vorab schwer einschätzen, was zu einem Lieblingsteil wird oder sich als Fehlkauf entpuppt.
Meine Schwester ist eine Meisterin der Fehlkäufe. Sie besitzt nicht nur eine beachtliche Sammlung an Kleidern, sondern auch etliche Schuhe in ihren originalen Kartons und Handtaschen in Staubbeuteln, die alle akribisch sortiert und penibel verstaut auf ihren Einsatz warten und diversen Umzügen und kleinen WG Zimmern getrotzt haben. Zwar wird seit Jahren regelmäßig ausgemistet, aber nur wenige Teile müssen tatsächlich gehen. Auch die Marie Kondo Methode konnte ihr bislang beim loslassen nicht helfen, da ihr jeder noch so ungenutzte ‘Fehlkauf’ stets Freude bereitete.
Was ist ein Fehlkauf?
Nach den Definitionen die ich Online gefunden habe, ist es ein Kauf, der sich für den Käufer später als nachteilig oder schädlich herausstellt. Laut dieser Definition hat meine Schwester ihrer Meinung nach keine Fehlkäufe im Schrank, denn keiner ihrer Käufe brachte ihr einen Nachteil oder Schaden. Ganz im Gegenteil, argumentiert sie, all diese Käufe stellen eine Bereicherung für sie dar, da sie zu jeder Gelegenheit und in jeder Kleidergröße ein passendes Outfit hat. Ja, über die letzten 20 Jahre hatte sie nicht immer die gleiche Figur.
Was ist ein Lieblingsteil?
Ein Lieblingsteil ist ein Gegenstand, wie eine Hose oder ein Kleid, den man sehr häufig nutzt und von all den Dingen die man hat, am liebsten trägt. Ich habe so einige Lieblingsteile, die ich eine Zeit lang sehr häufig anziehe und verwende. Sobald ich dies nicht mehr tue, gebe ich sie weg. Bei mir sammelt sich so, im Gegenzug zu meiner Schwester, weniger an.
Manchmal gebe ich aber ein Teil auch zu schnell weg und es tut mir später Leid. Dann leiht mir meine Schwester für manche Gelegenheit das passende Outfit, aber nur, wenn es keinen zu hohen Wert hat.
Wie kam sie letztlich zu so vielen Kleidern und wieso ist es so schwer sie loszulassen?
Meine Schwester geht gerne auf die Jagd nach hochwertigen Teilen, im Sale oder auch in edlen Second Hand Läden. Sie ist aber nicht nur eine Jägerin, sondern auch eine Sammlerin. Was sie einmal erlegt hat, gibt sie nicht mehr her. Zu stolz ist sie auf ihre Errungenschaften, auf ihre Sammlung und auf den Fakt, dass sie für jede erdenkbare Gelegenheit das perfekt abgestimmte Outfit besitzt. Sie könnte z.B. morgen spontan auf eine Hochzeit gehen und am nächsten Tag zu einer UN-Sitzung nach New York jetten und übermorgen in Bangladesh zu einem Workshop im perfekten Salwar Kameez Outfit auftauchen. Ja, die Kleider sind nicht alle nur im westlichen Stil. Sie hat durch ihr Studium und die Arbeit im Ausland über die Jahre auch lokale Modestile adaptiert und auch dort Schnäppchen gemacht.
Insbesondere von den Kleidern die noch ein Etikett besitzen und die noch nie getragen wurden, kann sie sich besonders schwer trennen - weil man sie ja noch brauchen könnte. Gerade bei denen die sie noch nie anhatte dachte ich, würde es ihr leichter fallen sie aufzugeben. Immerhin waren mit ihnen keinen Erinnerungen verbunden, oder? Aber allein die Vorstellung wie viel Mühe, Zeit und Geld sie investiert hat um das Kleid oder die Schuhe zu erlegen, fiel ihr das Loslassen schwer. Und sie argumentierte mit dem Wiederbeschaffungswert. Wenn sie es jetzt verkaufen würde und dann endlich käme die Gelegenheit, für die es perfekt gewesen wäre, wäre es unmöglich das Teil wieder zu finden und erst Recht zu dem Preis. Verkaufen wäre ihrer Meinung nach in diesem Fall regelrecht leichtsinnig.
Würde, käme, wäre. Wie will man da argumentieren. Selbst meinen Einwand, dass sie in die meisten Kleider nicht mehr reinpasst, schmettert sie mit dem Kommentar ab: wenn sie wolle, könne sie in ein paar Monaten locker 10 Kilo abnehmen, um in jedes der Kleider zu passen.
Da geb’ nicht nur ich auf, sondern selbst Marie Kondo.
Aber, kommt Corona, kommt Zeit
Durch die Corona Krise und das Kontaktverbot, hatten wir die letzten Wochen erneut Zeit das Thema Fehlkauf vs. Lieblingsteil im Kontext meiner Verkaufsaktion, erneut zu thematisieren. Diesmal war meine Schwester hoch motiviert, mit meiner Hilfe sinnvoll auszusortieren. Die Rahmenbedingungen hatten sich für sie gänzlich geändert. Im letzten Jahr ist sie Mutter geworden und war voller Enthusiasmus, unter diesem neuen Umstand den Blick fürs Wesentliche geschärft zu haben und nur zu behalten, was sie wirklich braucht. Es stellte sich heraus, dass es gar nicht so einfach zu unterscheiden ist, was man noch braucht und was man einfach behalten will. Diesmal ließ ich ihr keine Wahl, es ging bis an die Schmerzgrenze.
Die Klassifizierung als Fehlkauf ließ sie dennoch nicht bei einem einzigen Teil zu. Meine Meinung ist aber eine ganz Andere als ihre. Sie hat über die Jahre viel Zeit und Organisation in die Lagerung ihrer Sachen gesteckt, Winter- und Sommersachen quer mit dem Zug durch die Republik gekarrt und über die Jahre etliche Kisten von Wohnung zu Wohnung geschleppt. Kisten mit fast ungetragener Kleidung.
Ich musste mir jetzt die Zeit nehmen alle Klamotten und Schuhe zu fotografieren und bei Ebay & Co einzustellen, was extrem zeitaufwändig war. Und am Ende ist sie enttäuscht, weil wir nicht so viel Geld dafür bekommen, wie sie einst gezahlt hat. Nach der obigen Definition würde ich sagen, es waren Fehlkäufe! Den zeitlichen Aufwand, den sie in die Organisation und den Transport der Kleidung steckte würde ich als insgesamt nachteilig, also Zeitverlust, bewerten. Als Geldverschwendung, also finanziell schädlich, würde ich bezogen den verlorenen Kaufpreis und auch den ständigen Transport von A nach B, was im Nachhinein betrachtet, natürlich auch Geld gekostet hat, als negativ bewerten.
Wie können wir wissen, ob wir ein Teil nur wollen oder tatsächlich auch brauchen?
Meine Schwester gewöhnt sich erst gerade an den Gedanken, dass das ein oder andere Teil doch ein Fehlkauf gewesen sein könnte. Dass das vermeintliche Schnäppchen am Ende des Tages vielleicht doch nicht so eine schlaue Investition gewesen ist. Und es ist fraglich, ob wir entscheiden können was ein Lieblingsteil wird, wenn wir das Kleid oder den Schuh nicht länger als 10 Minuten im Laden anhatten. Vielleicht können wir viel mehr drauf achten, Fehlkäufe zu vermeiden als Lieblingsteile zu suchen.
Fehlkäufe vermeiden
Keiner von uns kann beim Kauf ganz sicher sagen, ob das Teil zum Staubfänger oder zum Allrounder wird. Grundsätzlich sollten wir uns bei jedem Kauf nochmal fragen, ob es etwas ist das wir konkret demnächst brauchen und im Alltag verwenden oder etwas, das wir in diesem Moment kaufen wollen, weil wir Angst haben ein Angebot zu verpassen.
Wir können uns vorab ein paar Fragen stellen:
Kaufe ich das Teil gerade aus einer Emotion heraus?
Zu welcher konkreten Gelegenheit werde ich das Teil nutzen?
Wie oft werde ich es nutzen und was ist der geschätzte 'Cost Per Use'?
Tut es was für mich? Steht mir das Kleid überhaupt?
Kann ich es zurückbringen? Oft merken wir erst zuhause, dass der Impuls gesiegt hat, wir es letztlich aber doch nicht so schön finden und nichts sonst dazu passt.
Habe ich etwas ähnliches schon? Oft finden wir einfach jeden türkisfarbenen Pulli schön, haben aber schon 5 im Schrank.
Das ‘Cost Per Use’-Konzept
Während sie all diese Kleider im Schrank hat, trägt sie im Alltag immer das Gleiche. Sie bleibt ihrem Stil eigentlich seit Jahren treu. Sie hat Unmengen an Schuhen und trägt doch nur ein Paar Samba Sneaker im Winter und Timberland Earthkeepers im Sommer. Sie hat an die 100 Kleider und fühlt sich doch am wohlsten in Jeans und T-Shirt. Also auch sie hat Lieblingsteile im Schrank.
Auch Kleidung unterliegt einer ökonomischen Perspektive. Während sie ihre Designer-Kleider im Sale kauft und selten trägt, kauft sie ihre Alltagskleidung regulär und rockt jedes dieser Teile bis zum äußersten runter. Am Ende hat sich die Investition bei Lieblingsteilen einfach mehr gelohnt, da die “Cost Per Use”, also die Kosten bei jeder Verwendung, (diesem Konzept widme ich später einen ganzen Artikel) sehr niedrig sind.
Trotzdem sollten wir nicht nur Dinge im Schrank haben die wir oft nutzen, sondern es gibt Essentials die man zwar selten, dafür aber sicher braucht. Bei solchen Dingen kann man dann auch mal Schnäppchen machen. Dabei waren wir uns am Ende dann doch einig. Man sollte immer im Schrank z.B. ein kleines Schwarzes für Feiern, eine weiße Bluse für formelle Anlässe und es ist auch gut etwas für den Fall einer Beerdigung oder für ähnlich kurzfristige Ereignisse parat zu haben.
Nach drei Wochen bei meiner Schwester und meiner Nichte im Ruhrpott, fuhr ich mit immer noch 300 Dingen zurück nach Berlin, die momentan noch eingestellt sind. Ich selbst habe meiner Schwester zwei Kleider, drei Hosen, zwei Auflaufformen und ein Paar Schuhe abgekauft. Meine Schwester machte mich, mit dem Entschluss endlich ihren ‘Fehlkäufen’ wieder in den Markt zurückzulassen, glücklich. Besonders, da ich dieses Jahr nichts Neues kaufen darf und ich weiß, dass die Sachen meiner Schwester wie Neu sind. Sie machte aber nicht nur mich, sondern auch derzeit schon über 55 Frauen bei Ebay und Kleiderkreisel glücklich.
Ab nächster Woche geht es mit den normalen Wochenberichten aus Berlin wieder weiter.
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