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Mit Dominique erarbeitet man maximalen Modespaß bei minimalem Klimaimpact

Aktualisiert: 27. Okt. 2020

Dominique wurde mir im Kontext des Blogs vorgestellt und erklärte sich kurzerhand bereit, mit mir über das Thema Nachhaltigkeit im Bereich Mode zu reden. Drei Tage vor unserem Interview in Essen, hatte sie ihr neues Buch “Achtsam Anziehen” veröffentlicht. In dem Buch geht es darum, die Fast-Fashion-Industrie zu durchschauen und sich nicht länger von ihr zu blindem und klimaschädlichem Konsum verführen zu lassen. Anhand einer 10-Wochen-Kur soll ihr Buch helfen Schritt für Schritt eine achtsamere Beziehung zu sich und seinem Kleiderschrank herzustellen.

Dominique Ellen van de Pol

Während unserem Interview wollte ich etwas mehr über sie und ihre Motivation hinter dem Buch erfahren. Unter dem Interview findet ihr noch ein paar Gedanken von mir zu ihrem Buch.


Was war dein Werdegang, der dich zum Buch geführt hat?


Ich komme aus dem Textil- und Modedesign und habe einen Master gemacht mit dem Schwerpunkt Trendforschung, Modetheorie und Branding. Im Anschluss daran habe ich meine Karriere im Bereich Modemarketing und Kommunikation begonnen. Seit zehn Jahren bin ich nun in dem Bereich tätig und habe mich nach und nach auf das Thema Nachhaltigkeit spezialisiert. Erst habe ich für kommerzielle Marken gearbeitet und unter anderem Projekte im Bereich CSR (Corporate Social Responsibility) betreut, aber schnell gemerkt, dass ich mich selbständig machen muss, wenn ich ernsthaft etwas verändern möchte. Meistens arbeite ich jetzt für Agenturen und Labels in dem Bereich Kommunikation und schreibe und entwickle redaktionelle Beiträge und neue Formate über Mode & Nachhaltigkeit.


Was war die Motivation, ein ganzes Buch zu schreiben?


Mir geht es eigentlich darum, Menschen von diesem Mangelbewusstsein zu befreien, in dem wir alle künstlich gehalten werden. Wir Menschen haben naturgemäß die Tendenz, uns darauf zu fokussieren, was uns vermeintlich fehlt und kämpfen die ganze Zeit, um irgendwo hinzukommen, wo alles ‚gut’ ist. Irgendwie ist da konsumieren zu einem Mittel geworden, an ein Ziel zu kommen, wo kein Ziel ist. Das zu durchbrechen, funktioniert nur, wenn man es schafft, nach innen zu schauen, bewusst zu konsumieren und nachhaltiger zu leben, ohne dabei das ständige Gefühl von Verzicht zu haben. Im Gegenzug wird erreicht, dass man sich viel reicher fühlen kann.


Und wie geht das?


Indem man einmal einen Bezug zu sich selbst herstellt und zu all den wunderbaren Kleiderschätzen und kreativen Möglichkeiten, die uns bereits in diesem Moment umgeben. Deswegen widme ich mich im Buch all den typischen Situationen, die wir immer wieder mit Kleidung erleben, z.B. beim Shopping: Was passiert da eigentlich, auch neurologisch in unserem Gehirn, wenn wir etwas kaufen? Warum kaufen wir immer wieder und so viel, selbst wenn uns das bewusst ist? Wenn man einmal anfängt, die unbewussten Mechanismen hinter solchen Situationen offenzulegen, ist das fast wie ein Hacker, der ein Programm-Code entschlüsselt und zerlegt. Erst danach kann man das Programm auch wirklich im eigenen Sinne umschreiben. Es ist total spannend und man lernt unglaublich viel über sich selbst und die eigenen Bedürfnisse.


Mir fallen da 100 Situationen ein, in denen Freunde, oder auch ich, Dinge kaufen, weil wir die Vorstellung haben, wie toll es wäre sie zu tragen. Ein Freund hat eine Jacke gekauft, weil die toll auf eine Vernissage passen würde. Er war noch nie auf einer. Nicht davor und auch nicht danach. Ich habe Schuhe, die toll zur Oscar-Verleihung passen würden. Kleidung ist eben auch viel mit Wunschdenken verbunden.


Ja genau, wir kaufen Sachen, die nicht in unseren Alltag passen. Kleidung lässt uns mit den eigenen Träumen und Vorstellungen spielen. Häufig steckt ja etwas ganz anderes hinter dem Kauf, aber als Resultat hat man dann etwas im Schrank, was man nie anziehen wird. Und wenn man es aussortiert, bricht es einem fast das Herz, weil man sich von der Idee, dem Traum, auch trennt, der nie Wirklichkeit geworden ist.


Hast du da einen pragmatischen Tipp, wie man mit so einer Situation umgehen könnte?


Also einerseits würde ich im ersten Schritt ganz genau darauf schauen, was da eigentlich passiert, bzw. was wirklich hinter diesem Verlangen nach immer neuen Stücken steckt. Es sind ja oft Bedürfnisse und Wünsche, die uns da treiben und die es auch wert sind, einmal betrachtet zu werden. Wonach sehne ich mich wirklich und was könnte ich konkret tun um dieses Bedürfnis langfristig zu befriedigen? Vielleicht sehne ich mich danach, sichtbarer zu sein, nach Anerkennung oder mehr Lebendigkeit. Es sind ja oft Sachen, die auch ihre Berechtigung haben, aber die man, wenn überhaupt, nur kurzzeitig über materielle Dinge befriedigen kann. Dann verfliegt das Gefühl der Zufriedenheit schnell wieder und es regt sich zudem manchmal ein schlechtes Gewissen. Ausserdem belastet zu viel Kram nachweislich und kostet uns unnötig Geld, Aufmerksamkeit und Raum. Es ist unglaublich spannend und sehr effektiv da einmal näher dahinter zu blicken.


Glaubst du, wir haben den Bezug zu Sachen verloren? Ich weiß, mein Opa hat mal ein Monatsgehalt für Stiefel meiner Tante ausgeben müssen. Klar passt man da dann ganz anders auf die Sachen auf und schätzt sie ganz anders.


Ich glaube, dass wir wirklich nur noch wenig Bezug zu Dingen haben, während die Generationen vor uns, oft noch ein komplett anderes Verhältnis zu materiellen Dingen hatte. Es war eine größere Wertschätzung da. Wir sind halt in diesem Überfluss geboren. Deswegen habe ich mir auch angesehen, was beim Shoppen wirklich passiert. Das Gefühl dabei ist, zumindest für viele Frauen, extrem intensiv. Im Gehirn sind genau die gleichen Regionen aktiv, wie z.B. beim Sex oder Drogen wie Extasy und wir werden durchflutet von Endorphin und Dopamin. Und man hat sich einfach daran gewöhnt diesem Shoppingrausch regelmäßig zu frönen – der Durchschnittsbürger kauft nämlich mehr als ein Teil pro Woche, Tendenz steigend.


Gleichzeitig geben wir nicht mehr Geld für Kleidung aus, aber konsumieren doppelt so viel wie noch vor 15 Jahren. Sobald man ein Teil gekauft hat, ebben die Glücksgefühle leider schon wieder rapide ab. Kein Wunder, dass daher so viele Stücke ungetragen bleiben.


Ich habe über das Thema mit jemandem geredet, die meinte, wenn sie etwas kauft, ist es immer hochwertig, trotzdem hat sie immer ein schlechtes Gewissen, weil sie ihrer Meinung nach zu viel Geld ausgibt. Dieses Gefühl kann man ja nur deshalb haben, weil es ja auch möglich wäre, ähnliche Sachen billiger zu bekommen. Oder wie siehst du das?


Eigentlich hat es auch mit eigenen Werten zu tun, mit eigener Genügsamkeit, die als Tugend bewertet wird: Viele Menschen sind sehr preissensibel und haben dadurch erstmal Hemmungen, Geld auszugeben. Ich musste als Studentin auch jede Mark umdrehen und hatte oft ein schlechtes Gewissen, Geld für Kleidung auszugeben. Mit dem Geld könnte man ja auch andere Sachen machen, wie bspw. etwas Besonderes erleben. Es erfordert daher eine Art inneres Training, durch das man es sich ganz bewusst erlaubt, für faire Produkte einen fairen Preis zu bezahlen. Das hat auch bei mir gedauert. Früher hätte ich mir nicht einfach ein nachhaltiges Modestück zu einem regulären Preis gekauft, weil es mir zu teuer vorgekommen wäre.


Was für einen Tipp hast du für Leute, die auch sagen: Ich würde gern nachhaltig kaufen, aber es ist einfach zu teuer für mich?


Um nachhaltiger zu leben, müssen wir jetzt nicht alle ökologisch statt konventionell kaufen. Das ist Quatsch. Der Kauf ist nur ein Bereich von ganz vielen kreativen Strategien, um mit Kleidung bewusster umzugehen und sich neue, nachhaltige Kleiderquellen zu erschließen. Tausch- Miet- und Secondhand Mode bieten endlose Möglichkeiten, sind günstig und extrem nachhaltig. Und indem man zum Beispiel nicht jede Woche etwas Neues kauft, sondern sich erst einmal einen guten Überblick über die eigenen Kleiderschätze verschafft, kann man viel effektiver beim Shoppen vorgehen, seltener zuschlagen und hat dafür pro Stück mehr finanziellen Spielraum. Frage dich einfach welche neuen Stücke du tatsächlich benötigst und was ein Teil erfüllen muss, um zu deinem Lieblingsteil zu werden und nicht als Fehlkauf zu enden.


Daneben spielt es auch eine große Rolle, wie man mit Kleidung umgeht, wie man sie wäscht, trocknet, es weitergibt und vieles mehr: Das ist genauso wichtig und hat einen riesigen Einfluss auf die persönliche Klimabilanz.


Wie wasche ich denn richtig?


Ich dachte früher, kürzer waschen wäre nachhaltiger. Aber das stimmt gar nicht. Für die gleiche Energie einer 60 Grad-Wäsche kann man z.B. 2x bei 40 Grad oder sogar 3 x bei 30 Grad waschen. Auch der Wäschetrockner verbraucht mindestens so viel Energie wie die Waschmaschine und verschleißt obendrein das Gewebe sehr schnell. Wäsche per Hand aufzuhängen und auszuschütteln ist also die nachhaltigste Methode, aber das natürlich muss jeder für sich entscheiden, was im eigenen Alltag machbar ist. Ich bin schon ein kleiner 'Wäsche-Nerd' und muss immer alles ganz penibel aufhängen – dafür kann ich mir das verhasste Bügeln komplett sparen.


Und wie kaufst du heute?


Ich gestalte mittlerweile das Einkaufen wie eine Schatzsuche, gehe in Secondhand-Läden und auf Tauschpartys. Unter dem Strich gebe ich monatlich weniger aus, habe aber viel wertigere Teile als früher im Schrank und einen viel besseren Überblick über alles, was ich besitze.


Bei mir ist es seit ein paar Jahren so: Wenn ich etwas habe, was mir gefällt, dann kaufe ich es und schaue daheim, ob es zu mir passt und zu meiner anderen Kleidung. Wenn nicht, bin ich streng und bringe es zurück. Bei Secondhand-Ware und Tauschpartys kann man natürlich nichts zurückgeben. Welche Tipps hast du, um schnell beim Kauf zu checken was zu einem passt?


Wenn ich im Laden bin, habe ich immer die Tendenz, Sachen zu eng zu kaufen sowie Sachen, die nicht so bequem sind oder die irgendwie keinen tollen fließenden Stoff haben. Morgens am Kleiderschrank ist es mir total wichtig, wie sich das Kleidungsstück auf der Haut anfühlt. Darauf achte ich jetzt beim Einkaufen im Laden viel bewusster. Ich mache die Augen zu und versuche, weniger mit den Augen zu entscheiden und stärker auf das Tragegefühl zu achten. Das hilft mir sehr und bewahrt mich vor Fehlkäufen. Außerdem lasse ich mir Sachen prinzipiell zurücklegen und schlafe erst einmal eine Nacht darüber – oft vergesse ich ein Teil dann einfach wieder. Und manchmal ist es aber so, dass ich es wirklich nicht mehr aus dem Kopf bekommen kann und dass ich dann auch lange Freude daran habe.


Ich finde, man kann unglaublich viel über sich selbst und die eigenen Kaufkriterien für Kleidung aus Fehlkäufen oder auch aus den Lieblingsteilen lernen. Wenn man einmal da drauf guckt, merkt man, dass man eigentlich ganz klare Kriterien hat. Zum Beispiel habe ich gemerkt, dass, auch wenn ich manchmal schöne rosa oder pink Sachen finde und sie auch kaufe, ich diese Farben eigentlich nicht gerne trage. Im Alltag fühle ich mich nicht nach Rosa. Bei bestimmten Farben passe ich jetzt besser auf, oder nehme sie nur bei Tauschpartys versuchsweise einmal mit. Auch bei bestimmten Schnitten passe ich besser auf. Ich habe nämlich herausgefunden, dass es mich verrückt macht, wenn ich etwas anhabe, was unter den Armen eng anliegt. Am Kleiderschrank gewinnen daher immer meine Lieblingsstücke mit weiten, großzügig geschnittenen Ärmeln. Wird nur eines dieser oft unbewussten Modekriterien nicht erfüllt, reicht das oft schon, dass ein Teil als Fehlkauf im Schrank endet.


Glaubst du, diese Erkenntnisse kommen mit dem Alter?


Bestimmt. Ja.


Was kannst du den Leuten Anfang 20 mitgeben?


Viele junge Leute, die derzeit auf die Straße gehen kennen sich ja selbst schon sehr gut aus. Andere Teenager haben dazu noch keinen Bezug und feiern es nach wie vor bei Primark einzukaufen. Für sie ist Mode einfach Selbsterfahrung und sie wissen nicht wo sie sonst modische Sachen für so kleines Geld bekommen. Gerade wenn man jung ist, kann man sich aber eigentlich dank Digitalisierung ganz easy ein eigenes Tauschnetzwerk mit FreundInnen aufbauen oder Plattformen wie Kleiderkreisel nutzen und günstig und nachhaltig an tolle Marken kommen – zu guten Preisen.


Welche Prognose hast du für Deutschland, für Europa und global gesehen im Textilbereich für die nächsten zehn Jahre?


Ich bin im Rahmen der Recherche für das Buch über eine Studie gestolpert von der Ellen-MacArthur-Stiftung in England. Demnach wird die Modeindustrie und ihr immenser Klimaimpact weiterhin rasant wachsen und im Jahr 2050 für ein Viertel des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich sein. Schon jetzt verursacht sie mehr klimaschädliche Emissionen, als die globale Schifffahrt und der internationale Flugverkehr zusammen. Diese Prognose hat mich erschüttert und ich glaube, es ist wirklich wichtig, dass wir alle einmal innehalten und uns auf das besinnen was zählt und konstruktive Lösungen suchen und in Angriff nehmen, damit wir in der Klimakrise noch die Kurve bekommen. Dabei muss jedoch niemand auf seinen geliebten Modespaß verzichten.


‘Das Marketing hat es irgendwie geschafft, Spaß an Mode mit Konsum gleichzusetzen und eben nicht kreativ am eigenen Kleiderschrank zu sein. Die meisten von uns wissen gar nicht mehr, wie viele Textilen sie eigentlich haben. ’

Zwölfmal im Jahr sagt uns die Modeindustrie ja mittlerweile, was Trend ist. Das ist natürlich total schwer mit Secondhand-Ware umzusetzen. Da gibt es keine Kollektionen; da gibt es keine Größenvarianz und es verlangt etwas Kreativität, Styles zu finden. Wie siehst du das?


Ja. Es wird zwar in der Zukunft verschiedene Konzepte geben, aber viele Menschen sind bei Second-Hand und Vintage-Mode erstmal etwas schüchtern. Deswegen gibt es in meinem Buch auch ein Kapitel mit kreativen Styling-Hacks, in denen man z.B. lernt wie man Outfits und Farben vielfältig kombinieren kann. Ich habe das Gefühl, die Leute haben große Lust darauf, aber trauen sich alleine oft nicht. Es ist spannend hier neue Formate zu schaffen, die genau diese Grundlagen vermitteln: einen selbstbestimmten Stil zu entwickeln und sich modisch zu „empowern“.


Ich habe das Gefühl, die Kleiderschränke werden immer größer und die Kleidung wird darin verpackt, bzw. weggepackt, und zwar so tief, dass man vergisst, was man hat.

Wie sieht dein Kleiderschrank aus?


Ich habe eine offene Kleiderstange und ein Regal. Ich würde sagen, im Vergleich zu anderen Frauen habe ich wohl wenige Sachen. Ich habe auch mal mit Konzepten wie dem Project 333 experimentiert – also eine Minimalgarderobe aus 33 Teilen für 3 Monate zusammenzustellen. Aber da ich viele verschiedene Stiltypen in mir trage, die ich im Alltag über Kleidung und Accessories ausleben will, waren mir persönlich 33 Teile etwas zu reduziert. Trotzdem hat mir dieses Experiment sehr geholfen meinen Blick zu schärfen und noch bewusster zu erkennen, was ich gerne trage und warum und wieviele tolle und unterschiedliche Outfitkombinationen man schon mit ganz wenigen Stücken hinbekommt.


Nach dem Motto für jedes neue Teil muss ein Altes gehen?


Das finde ich einen super Ansatz. Sonst füllt sich der Kleiderschrank schnell und schleichend wieder und die ganze Arbeit des Aussortierens war umsonst. Sonst verliert man schnell den Überblick und der Anblick eines übervollen Kleiderschranks ist erwiesenermaßen ein echter Stressfaktor, der sogar krank machen kann. Die Regel „eins rein – eins raus“ hilft außerdem dabei vor Neuanschaffungen bewusster abzuwägen, ob einen das neue Teil in spe wirklich bereichert? Wenn man sich hier unsicher ist, empfehle ich lieber erst einmal darüber zu Schlafen, um Fehlkäufen vorzubeugen.


In deinem Buch setzt du dich mit falschen Glaubenssätzen auseinander. Wie kann man das in Bezug auf Kleidung verstehen?


Ja, genau, ich setze mich mit unbewussten Konsummustern als auch mit falschen Glaubenssätzen auseinander. Im dritten Kapitel geht es darum, sich vor dem Spiegel selbst anzusehen, wahrzunehmen welche unbewussten Glaubenssätze hier ins Spiel kommen und Schritt-für-Schritt Selbstmitgefühl und Selbstliebe zu kultivieren. Ich denke, diese Themen sind oft ganz eng mit unserem Modekonsum verbunden. Viele Menschen leiden im Alltag immens unter ihren unbewussten, falschen und sehr schmerzhaften Glaubenssätzen, die innerlich immer wieder automatisch abgespult werden – eigentlich um uns vor emotionalen Verletzungen zu schützen, aber fast immer mit genau dem gegenteiligen Effekt. Echte Wertschätzung kann man sich letztlich nur selbst geben. In unserem großen Bedürfnis nach Akzeptanz und Anerkennung konsumieren wir daher, um einem übermenschlichen Schönheitsideal hinterher zujagen und unser Aussehen zu optimieren. Die Hoffnung dahinter: endlich das Gefühl zu haben, wertvoll zu sein, so wie wir gerade in diesem Moment sind. Die Werbung hat natürlich ein existenzielles Interesse daran uns glauben zu machen, dass wir dies mit den richtigen Produkten erreichen würden. Aber ich und viele andere Experten sind der Meinung, dass dieses Gefühl vielmehr das Ergebnis eines inneren Weges ist.

Vor zwei Jahren war ich sehr krank und am Rande eines Burn-Outs. Mein Körper war vollkommen aus dem Gleichgewicht. Eine Lungenentzündung folgte auf die nächste und mein Darm konnte die Energie aus meiner Nahrung nicht mehr richtig aufnehmen. Daher verlor ich rapide an Gewicht und konnte kaum noch aufstehen, weil ich so schwach war. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich wirklich Angst, nicht mehr auf die Beine zu kommen. An einem der besseren Tage konnte ich mal wieder aufstehen und vor die Tür gehen. Ich landete in einer Boutique und probierte einen wunderschönen Blazer. Wo mir vorher eine 36-38 gepasst hatte, war nun alles viel zu groß, selbst die kleinsten Teile in Gr. 34. Wenn ich mich im Spiegel anschaute, erschrak ich wegen der vielen Knochen, die sich überall unter meiner Haut abzeichneten. Als ich aus der Kabine trat sagte die Verkäuferin nur: “Sie haben ja eine tolle Figur, - beneidenswert!” Das war so eine surreale Situation! Ich bin ich nach Hause und habe interessehalber meinen BMI recherchiert. Das Ergebnis des BMI-Rechners: Sie sind zu dünn und besitzen ein gesundheitsgefährdendes Gewicht. Verglichen mit einem Model war mein BMI jedoch immer noch viel höher. Da habe ich erkannt wie krank und ungesund unser Schönheitsideal eigentlich ist und warum praktisch kein normaler, gesunder Mensch diesem Ideal entsprechen kann.


Wie eng denkst du hängen Social Media und das, was wir da sehen, mit unserem Konsum zusammen?


Social Media prägt ganz stark, wie wir uns anderen präsentieren. Wir sind uns bewusst, dass alles was wir tun dort von anderen Menschen beobachtet und bewertet wird. Daher richten wir unser Verhalten unbewusst danach aus, und versuchen uns mit unserem Verhalten die Anerkennung und Likes unserer Mitmenschen zu erwerben. Man hat das Gefühl immer etwas Neues bieten zu müssen. Gerade vor wichtigen Terminen und Präsentationen, bei denen man im Mittelpunkt steht, stehen wir oft ratlos vor dem Kleiderschrank. Wir haben das panische Gefühl nicht die „richtige“ Kleidung im Schrank zu haben, da uns das mögliche Urteil unserer Mitmenschen unterbewusst verunsichert. Bei Social Media-Postings ist das quasi ein Dauerzustand. Auch dieses ungeschriebene Gesetz, dass man nicht zweimal das Gleiche anhaben soll, z.B. bei Events oder auf Postings. Aus Nachhaltigkeitssicht ist das echt Panne! Und trotzdem spüre auch ich hier immer wieder diesen Druck modisch zu wirken und anderen über Kleidung Abwechslung zu bieten. Auch weil ich zeigen will, dass nachhaltige Mode nicht gleichbedeutend ist mit ökig und optisch Spaß machen kann und soll. Das Thema ist echt spannend.


Hast du selbst aber auch Teile, die du nie hergeben würdest? Die eine Bedeutung für dich haben, die höher ist als der eigentliche Wert.


Ja, ich habe meine Patentante, die hat bis vor Kurzem gerne und viel geshoppt. An meiner Hochzeit hatte sie Schuhe an, die hat sie mir danach geschenkt. Seitdem trage ich die immer, ganz feierlich, zu besonderen Terminen. Sie haben für mich eine besondere Geschichte und erinnern mich jedes Mal an meine geliebte Tante und unsere wunderschöne Hochzeit. Dann gibt es noch ein Kleid, das ist auch von ihr. Ein langes rotes Kleid. Das hat sie sich von einer gemeinsamen Bekannten nähen lassen für ein spirituelles Retreat in Indien. In dem Zentrum dort tragen alle nur diese eine Farbe. Als ihr das Kleid nicht mehr paßte, gab sie es an mich weiter. Obwohl es einen Fleck hat, ziehe ich es immer noch gerne zuhause an und fühle mich damit sehr erleuchtet. Das Teil werde ich noch lange in Ehren halten.


Was sollen die LeserInnen deines Buches für sich mitnehmen?


Ich möchte andere Menschen dabei unterstützen ihr Mangelbewusstsein, in dem wir als Menschen fast automatisch kleben bleiben, zu durchbrechen und in ein Gefühl der Dankbarkeit und Fülle zu kommen. Das lässt sich super auf Kleidung übertragen und den Fokus langsam zu verlagern von dem was uns vermeintlich fehlt (z.B. das nächste „Must-Have“) zu unserem Modeglück, hin zu den zahlreichen Kleiderschätzen, die wir bereits besitzen. Es geht um einen Perspektivenwechsel, der alles verändern kann und Achtsamkeit ist auf diesem Weg ein äußerst effektives Tool.


Nach dem Interview habe ich Dominiques Buch gelesen. Es kam mir vor, als würde ich mit einer guten Freundin durch meinen Kleiderschrank stöbern und über Mode reden. Was behält man, was gibt man weg, was stylt man wie, was wäscht man wie? Es ist weder zu komplex geschrieben, noch sind die ‘Aufgaben’ unlösbar. Ich hatte mir dafür aber nicht 10 Wochen genommen und deswegen die Aufgaben und Challenges, die Dominique im Buch den Lesern stellt, nicht so gemacht wie man sollte. Trotzdem hatte ich mich mit allen Themen im Schnelldurchlauf beschäftigt. Hier seht ihr die einzelnen Wochenthemen im Überblick:


Woche 1 Neurologie des Shoppings

Woche 2 Vor dem Kleiderschrank

Woche 3 Vor dem Spiegel

Woche 4 Die Kunst des Loslassens

Woche 5 Tauschen und Teilen

Woche 6 Alte Stücke zu Geld machen

Woche 7 Sinnvoll spenden und entsorgen

Woche 8 Kleiderschätze liebevoll pflegen

Woche 9 Rethink - Alte Stücke in neuem Glanz

Woche 10 Shop smarter



Ich werde all das nochmal, in den nächsten Wochen, wenn ich ausmiste, machen. Leider darf ich euch das Buch nach meinen eigenen Regeln nicht empfehlen, da es ganz neu ist und noch auf keiner Plattform gebraucht erhältlich. Aber ihr müsst euch ja nicht an meine Regeln halten : ).

Dominique und ich in Essen am 30.01.2020



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