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Become A-Ware: Ein Label und ein Projekt zur Aufklärung über den Retouren-Wahnsinn

Aktualisiert: 9. Dez. 2020


Julia Radewald ist Projektmanagerin bei Become-A-Ware, ein Projekt hinter dem das Team rund um Lisa D., eine langjährige Fashion Aktivistin, steht. Julia gab mir ein Interview zu dem Projekt, das derzeit Teil der ReUse-Fläche bei Karstadt am Hermannplatz in Berlin ist. Dort traf ich sie zu einem Interview.



Ich habe euer Label ja zufällig entdeckt. Um was geht es dabei genau?


Das Become A-Ware Projekt haben wir im März diesen Jahres gestartet. Es geht darum, über Retouren aufzuklären. Viele Kunden von Online-Shops gehen davon aus, wenn sie etwas retournieren, wird die Ware, genau so, wie sie sie gekauft haben, wieder im Shop gelistet. Das entspricht aber nicht der Wahrheit. Es ist sehr kostspielig, retournierte Ware wieder in den A-Warenkreislauf einzuführen. Oft werden die Retouren auch gar nicht zu dem Lager geschickt, aus dem man sie erhalten hat. Viele gehen in ein Logistiklager, z.B. direkt nach Polen. Man sollte sich das Retourenlabel genau ansehen. Um diese Problematik für Kunden nahbarer und visuell zu machen, haben wir eine Kollektion aus Retourwaren erstellt, die wir hier im ReUse POP-Up Store vorstellen. Und so wie du darauf aufmerksam geworden bist, hoffen wir, dass auch andere durch die Kollektion auf das Thema aufmerksam werden.


Also besteht die Kollektion aus Retouren, die nicht mehr weiterverkauft werden?


Genau, da Retouren in den meisten Online-Shops ja nicht automatisch wieder online gehen, sondern viele Teile aussortiert werden, geben wir Leuten die Chance, hier bei uns mit ihren potentiellen Retouren eine andere Lösung zu finden, als sie zurückzusenden. Manche Experten sagen es sind ca 30% der Retouren, die anderweitig ins EU-Ausland als B-Ware verkauft werden, downgecycelt oder sogar vernichtet werden. Aber genaue Zahlen sind offiziell nicht bekannt. Wir gehen von weit mehr aus, offiziell geben die Unternehmen aber geringere Zahlen an. So oder so: Retouren sind eine enorme Ressourcenverschwendung, deswegen machen wir hiermit Become A-Ware einen Modellversuch.


Wie sieht dieser Modellversuch genau aus?


Wir bieten mehreres bei Become A-Ware an:

  • eine Re-Fashion-Kollektion aus Retouren, Überhängen und nachhaltigen Stoffen, gefertigt in Berlin.

  • ein Sortiment vor dem Retournieren geretteter Kleidungsstücke (nach Bedarf verändert).

  • eine limitierte Künstler*innenedition aus Retouren und Überhängen.

  • Beratung, wie du bestellte, aber nicht befriedigende Kleidungsstücke verändern und personalisieren kannst.

  • Wir bieten ein Tauschkonzept an, bei dem bestellte und nicht gewollte Kleidungsstücken gegen andere Retouren getauscht werden können

Hier vor Ort im Pop-Up Store des Karstadt am Hermannplatz haben wir z.B. das Tauschkonzept. Du kannst mit einem Kleidungsstück kommen, das du online bestellt hast, aber nicht gefällt. Statt es zu retournieren, kannst du es hier gegen ein Kleidungsstück - das dir gefällt - umtauschen. So kannst du dir sicher sein, dass wir jemanden finden, der das falsch bestellte Teil gerne tragen will und nichts zerstört oder downgegraded wird.

Und wir haben einen Teil der Upcycling-Kollektion hier. Diese haben wir mit Kilenda (link) gestartet, einer Plattform, die Mode zum Mieten angeboten hat. Sie haben uns Ware gegeben, die nicht mehr vermietbar war, da sie kleine Mängel wie Löcher oder Verfärbungen hatten. Wir haben sie mit Biostoffen und einem veränderten Design aufgewertet.

Become A-Ware Kollektion



Wo seht ihr das Ziel oder die Mission des Projekts? Wollt ihr ein Modelabel aus Retourwaren werden?


Uns ist wichtig, dass wir in erster Linie über die Retouren-Problematik aufklären. Das ist zum einen, dass Leute unüberlegt Dinge bestellen, die sie dann retournieren, sie aber nicht wissen, dass diese dann den A-Ware Kreislauf verlassen, da es für die Unternehmen zu teuer ist, diese wieder in diesen einzuführen. Und zum zweiten, dass viel Ware als Restposten enden, also B-Ware werden. Wir möchten über diese Probleme reden und sie sichtbar machen. Der Verkauf der Kollektion steht demgegenüber im Hintergrund.


Wir sind aber auch für andere Ideen offen. Wir können uns z.B. auch vorstellen, eng mit Unternehmen zusammenarbeiten und Kollektionen mit standardisierten Schnitten zu erstellen, die verschiedene Retouren zu neuen Modellen umschneidern lassen können. Z.B. bei Teilen, die eine schlechte Passform haben, könnte das gehen.


Wieso denkst du, ist es zu diesem Problem überhaupt gekommen?


Es ist viel zu leicht, etwas online Bestelltes wieder zurückzugeben: Niemand muss dafür zahlen, bei fast jedem Späti in Berlin können sogar Pakete abgeben werden. Ware retournieren ist einfach zu einfach, was dazu führt, dass sich alle Menschen weniger Gedanken über die Bestellung machen. Unternehmen wie Zalando, die weiterhin den Leitsatz vertreten “die Umkleidekabine ist bei den Menschen zuhause”, sind wenig förderlich um das Problem in den Griff zu kriegen. Wir wollen auf dieses Verhalten, welches die Gesellschaft sich in den letzten ca. 10 Jahren angeeignet hat, aufmerksam machen und es Leuten bewusst machen.


Man muss sich mal vorstellen, wie viel Ressourcen in ein Kleidungsstück gesteckt worden sind und wieviele Kilometer es zurückgelegt hat, damit dann ein Kunde sagt: gefällt mir nicht und dann ist es schon raus aus dem A-Waren Kreislauf.


Die Leute beschäftigen sich langsam mit der Herstellung der Kleidung, was aber nach dem ersten Kauf damit passiert, das ist noch nicht im Fokus. Da muss noch viel Bildungsarbeit gemacht werden.



Wie ist euer Projekt-Team zusammengekommen? Wer sind die Leute hinter Become A-Ware?


Lisa D., Mode Aktivistin seit 1984, ist die Leitung des Projektes, die sich auch für die Förderungsmittel beworben hat. Esther ist die ehemalige Schneiderin und Textildesignerin von Lisa D‘s Veränderungsatelier, “Bis es mir Vom Leibe fällt“ und Designerin der Kollektion von Become A-Ware. Vor fünf Jahren gründete ich mit zwei Freundinnen das Fair-Fashion-Label Kluntje, dass transparent und lokal produziert. Esther ist meine Mitbewohnerin und hat mich Lisa D. vorgeschlagen. Sarah Käsmayr ist eine langjährige Freundin von Lisa D., die auch schon mit ihr gemeinsam das Buch „Klääsch“ unter Sarahs eigenem Verlag “Maro Verlag“ herauskam. Sie ist verantwortlich für Content und Grafik. Als letztes ist da noch Wilfried, der Ehemann von Lisa D.. Er ist für die Texte verantwortlich, welche von Become A-Ware publiziert werden.



Jetzt sind die Kleidungsstücke von Become A-Ware ja nicht ganz billig. Wie werdet ihr denn hier bei ReUse Space, neben den Secondhand Flächen von NochMall und der Deutschen Kleiderstiftung aufgenommen?


Es sind Preise, die man hier nicht so gewohnt ist, nicht nur in dieser Ecke von reUse, bei Karstadt am Hermannplatz ganz allgemein. Die Preise werden dadurch sehr hinterfragt. Aber allgemein wecken wir viel Interesse mit unseren Produkten und die Leute sind positiv eingestellt. Sie reden mit uns und schauen sich die Kollektion an. Wir haben Zeit, ihnen zu erklären, worum es uns geht, und das ist gut. Es ist eher wie eine Ausstellung. Das ist hier nicht der richtige Ort für den Verkauf, aber durchaus für die Aufklärungsarbeit.


Den Namen find ich toll! Er hat so viel Bedeutung.


Genau. Es ist ein Wortspiel aus dem Deutschen ‘A-Ware’, als Kontrast zu der ‘B-Ware’ wie man sie aus dem Outlet kennt, die immer noch hochwertig ist, man ihr nur einen geringeren Wert zuspricht. Und es sind auch die englischen Worte ‘Become’ und ‘Aware’ enthalten, also sich etwas bewusst werden. Es vereint perfekt, worum es uns in unserem Projekt geht.


Ca. eine Woche nach dem Interview mit Julia habe ich von dem Flaschenpost-Experiment über einen Online-Event erfahren. Das Experiment ist Teil des Become-A-Ware-Projekts. Lisa D. und ihr Team haben bei führenden Online-Händlern Kleidungsstücke bestellt und umgeschneidert (und wie Lisa D. sagt: aufgewertet) und retourniert. Jedes der Teile ist mit einer Nummer versehen und wird von einem kleinen Briefchen begleitet. ‘Die Flaschenpost’ sagt:


Ich bin ein verändertes Kleidungsstück. Als ich bei (Online-Shop-Name) bestellt wurde sah ist etwas anders aus, ich habe mich in ein (Produktbereichnung) verwandelt und trage die Handschrift einer Berliner Designerin. Ich bin eine Flaschenpost die herausfinden möchte, was mit mir bzw. der Retoure passiert. Wo bin ich gelandet? Bitte kontaktiere mich via (Telefonnummer).

Mit diesem Experiment will das Team rund um Become A-Ware zeigen, dass es vielen Händlern nicht auffällt, dass sie nicht die gleiche Ware zurückbekommen, die sie den Kund_Innen geschickt haben. Die meisten Händler haben tatsächlich kommentarlos das Geld zurückerstattet. Man kann daraus also nur schließen, dass diese Teile nicht als A-Ware wieder in Lagern einsortiert wurden und im Online-Shop nochmal verkauft werden, sondern einen anderen Warenweg begonnen haben. Auf dem Instagram Account von Become A-Ware kann man alle Styles sehen, die umgeschneidert wurden und alle Händler, bei denen das Experiment schon gemacht wurde.



Ich finde dieser Test ist eine super tolle Idee, nur wieso die Nachricht in Deutsch war irritierte mich. Als ich vor ein paar Wochen mit Lisa D. und Sarah redete, fragte ich wieso die Nachricht denn in Deutsch sind, aber mittlerweile ist die Nachricht in drei Sprachen an den Retouren. Bisher hat sich aber erst eine Person gemeldet. Falls ihr genauso neugierig wie ich seid, was bei dem Test noch alles aufgedeckt wird, folgt Become A-Ware am besten auf Instagram. Ich bin auf jeden Fall neugierig, wie die Reise von ihnen weitergeht, und bedanke mich herzlich bei Julia, Lisa D. und Sarah.



Julia Radewald – Projektmanagerin bei Beecome A-Ware

Julia Radewald gründete direkt aus dem Studium heraus zusammen mit Lena Pudritz und Kati Gellert das Fair Fashion Label Kluntje. Das Label arbeitete mit einer kleinen Produktionsstätte in Berlin zusammen, legte alle Arbeitswege offen und bot somit eine Alternative zur herkömmlichen Modeindustrie. Derzeit orientiert sich das Label Kluntje Fashion’ um und ab 2021 wird sich auch hier der Fokus auf bestehende Ressourcen richten.


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