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Die Fashion-Aktivistin Lisa D.


Als ich am 16. September mit Julia Radewald, der Projektmanagerin des Labels Become A-Ware für ein Interview zusammensaß, kam ich irgendwann zu der Frage, wer hinter dem Projekt steckt. Da fiel der Name Lisa D. Ich brauchte einige Minuten, um mich zu erinnern, woher ich den Namen kannte, und als es mir einfiel, schloss sich in meinem Kopf ein Kreis.


Anfang April, als Corona noch neu in unserem Leben war, schrieb mich die Graphikerin und Verlegerin Sarah Käsmayr an und schlug mir Lisa D. als Interviewpartnerin für mein Rebound Stuff Projekt vor. Im Frühjahr wollte ich mich mit Sarah und Lisa D. verabreden, aber das Treffen kam nie Zustande. Wegen Corona und wegen mir: Upcycling-Mode stand damals einfach nicht mit Priorität auf meiner Agenda. Vielleicht ist es gut, dass es etwas gedauert hat, bis ich die beiden kennenlernen durfte, denn in den letzten Monaten habe ich viel gelernt und nun kann ich ihre bisherige Reise und ihre Projekte besser verstehen und wertschätzen.


Ende September traf ich die beiden zum Tee in Schöneberg. Coronakonform saßen wir draußen vor dem Veränderungsatelier “Bis es mir vom Leibe fällt” von Lisa D. in der Frankenstraße 1.



Lisa D. – Die Person


Elisabeth Prantner ist eine freischaffende Modeschöpferin, sie lebt in Berlin und Österreich. Seit 1984 produziert und präsentiert sie jährlich mehrere Kollektionen. In ihren zahlreichen Aktionen, Performances und Schauen, erzählt sie bis heute Geschichten in der Sprache der Mode.

Foto: Monika Keiler


'Lisa D.' – Das Label


Mit dem Label Lisa D. war Elisabeth Prantner Anfang der 1990er-Jahre eine der ersten Modedesignerinnen, die sich mit einem Atelier in den Hackeschen Höfen ansiedelte und das Areal der Höfe in Berlin-Mitte neu belebte.


Lisa D. In Lisa D. Quelle FAZ.net


Bis es mir vom Leibe fällt' – Das Veränderungsatelier


2011 eröffnet sie dort das Veränderungsatelier 'Bis es mir vom Leibe fällt' in dem sie sich der Reparatur im weitesten Sinne des Wortes: der Erhaltung und Erneuerung von Dingen, die sich bereits in der Welt befinden, widmet. Dahinter steht die Idee und Philosophie, ein vorhandenes Lieblingskleidungsstück individuell zu reparieren oder wachzuküssen – also es zu verändern, aufzuwerten und umzugestalten.

Das Projekt wurde 2012 mit dem deutschen Bundespreis ECO Design, 2017 mit dem Buddy Award und 2018 mit der Spitzen Nadel und dem Re-Use Preis der Stadt Berlin ausgezeichnet.


Lisa D. Foto von René Zieger

Änderungs-Atelier 'bis es mir vom leibe fällt' in Schöneberg

Seit 2017 gibt es auch den dazugehörigen Verein,der sich zum Ziel gesetzt hat, die Reparatur- und Gestaltungsgrundsätze von »Bis es mir vom Leibe fällt« weiterzuentwickeln, zu verbreiten und auf andere Lebensbereiche zu übertragen. Dies geschieht vor allem durch die Tätigkeiten, die im Rahmen der Schule des Veränderns stattfinden. Leute aufklären und dazu anstoßen, Dinge anders zu sehen, das macht Lisa D. schon seit Anfang an. In dem Buch »Klääsch« (MaroVerlag 2019) hat die nun 64-jährige Mode-Aktivistin einige ihrer Erfahrungen aus ihrer frühen Karriere zusammengefasst.



'Klääsch' – Das Buch


“Klääsch – Zusammenstöße mit Kunst, Mode und anderen Disziplinen, 1984 –1994” schildert in Bild und Text Stationen aus der Laufbahn von Lisa D. Eines ihrer Markenzeichen waren Shows und Perfor­mances, in denen sie die Mode und die ­Modenschau gemeinsam mit anderen Künstlern aus den Händen der Profis befreite und sie zum Erzählen lust­voller Gegengeschichten nutzte. Dabei kollidierte sie mit einer Reihe sehr unterschiedlicher, teils illustrer Milieus und Persönlichkeiten: vom Literatur und Kunstbetrieb der Avantgardestadt Graz bis zum Schau­stellermilieu einiger Rummelplätze, von der Halbwelt verblichener Stripteaselokale bis zur Glitzerwelt des Playboy­ Magazins, von der Underground Szene Berliner Hinterhofkeller bis zu ehrwürdigen Hochkulturtempeln.

Das Buch erschien 2019 im MaroVerlag und lädt zum selbst Handeln und Performen ein: Alle Bilderseiten müssen geöffnet werden, um den Text lesen zu können. So wird das Lesen zu einer Leseperformance.



Auf einen Tee mit Lisa D


Am 28. September konnte ich Lisa D. auf einen Tee vor ihrem Atelier kennenlernen. Sarah Käsmayr, die den Kontakt zu Lisa D. hergestellt hatte und mit ihr zusammenarbeitet, war bei dem Gespräch auch dabei. Wir redeten über das aktuelle Konsumverhalten, den Umgang und den Wert von Mode, die Kosten von Reparaturen und den Upcycling-Trend. Ich verzichtete auf ein klassisches Interview mit ihr. Bei allem, was sie schon gemacht hat, hätte ich gar nicht gewusst, auf was ich mich hätte fokussieren sollen.


Ich brachte aber einen Blazer mit, den ich auf dem Flohmarkt für 5 Euro gekauft hatte. Er war aus Seide und Leinen, tadellos, außer, dass die mittlere Naht etwas auseinandergezogen war. Der Vorbesitzerin muss der Blazer etwas zu klein gewesen sein. Ich ließ ihn Lisa D. und ihrem Team da und war gespannt, was sie damit machen würden. Der Anspruch ihres Veränderungsateliers ist, Dinge aufzuwerten und nicht nur zu reparieren. Ein paar Tage und 75 Euro später erhielt ich den Blazer zurück. Ehrlich gesagt für 80 Euro hätte ich ihn wohl nicht gekauft, aber für ein Kleidungsstück, welches mir etwas bedeutet und ich sehr gerne getragen habe bzw. es geliebt habe, würde ich das allemal wieder ausgeben.


Vor allem redeten wir über das neue Projekt der beiden, welches sich mit dem Thema Retouren im Modebereich auseinandersetzt: Become-A-Ware.


'Become A-Ware' – Ein Projekt, dass über die Retourenproblematik aufklärt


Lisa D. bewarb sich beim Senat für ein Projekt zum Thema nachhaltigere Kleidung. Daraus entstand Become A-Ware. Ein Projekt, das sich mit der Retourenproblematik des Online-Handels von Fashion-Brands auseinandersetzt. Denn bei Weitem landet nicht jedes Produkt, das retourniert wird, wieder im Online-Shop. Bis zu 30% werden downgegraded, downgecyclelt oder vernichtet.






Become A-Ware, das sind Wilfried Prantner, Sarah Käsmayr, Lisa Prantner,

Esther Stögerer und Julia Radewald. (von links)⠀⠀



Im Rahmen von Become A-Ware ist auch das Flaschenpost-Experiment entstanden. Lisa D. und ihr Team haben bei führenden Online-Händlern Kleidungsstücke bestellt und umgeschneidert bzw. aufgewertet und retourniert. Sie wollten herausfinden, wie vielen Händlern es überhaupt auffällt, dass nicht das gleiche Kleidungsstück zurückkam, das versendet wurde. Das Ergebnis: Die meisten Händler haben kommentarlos das Geld zurückerstattet.


Um mehr über das Projekt zu erfahren, lest das Interview mit Julia Radewald, der Projektmanagerin von Become A-Ware.



Sarah Käsmayr


Wie ich später erfuhr, lernte Sarah Lisa D. 2010 kennen und arbeitet seither an mehreren Projekten mit ihr zusammen. Sarah ist Verlegerin des MaroVerlags und Graphikdesignerin. Sie ist nicht nur für den Look des Projekts ‘Become A-Ware’ verantwortlich, sondern gestaltete auch das Buch »Klääsch« über Lisa D. und engagiert sich im Verein ‘Bis es mir vom Leibe fällt’.


Am Ende unseres Gesprächs zeigte mir Sarah Käsmayr ein Buch des MaroVerlags über kreative Jeansreparatur, an dem sie gearbeitet hat. Das Original erschien in den USA – im MaroVerlag haben sie es auf Deutsch, übersetzt von Josefine Haubold, herausgebracht. Da es mir gut gefällt, stelle ich es in einem anderen Artikel vor. Mehr zu dem Buch könnt ihr hier lesen.


Elisabeth Prantner ist jetzt 64 Jahre alt und ihr Herz scheint nach wie vor für Mode und den Diskurs darüber zu schlagen. Für sie ist Mode kein Konsum, sondern vielmehr Kunst und Ausdruck.


Ich bin sehr gespannt, was noch von ihr kommen wird.




Quellen:

Gespräch mit Lisa D. & Sarah Käsmayr

Interview mit Julia Redewald


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