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Wieviele Fakes sind in Second Hand Shops unterwegs - Daniel Bayen: Täter oder Opfer?


Am Donnerstag, den 25.04.2024 veröffentlichte correctiv.org eine Recherche, die Daniel Bayen vorwirft, für seine mittlerweile insolvente Erfolgsmarke Strike neu hergestellte Ware aus Pakistan eingekauft und unter die Vintage-Ware gemischt zu haben. Konkret geht es um den Vorwurf, wissentlich neu hergestellte Marken-Vintage-Fakes verkauft zu haben. Angeblich wurde er bereits in einem Gerichtsprozess wegen Verstößen gegen das Markenrecht verurteilt. 


Eine Freundin hat mich darauf aufmerksam gemacht. Ich habe mir gleich Daniels Video angeschaut und den CORRECTIV-Artikel gelesen. Mein Instinkt war sofort, Daniel persönlich zu schreiben. 


ICH: 

Hi Daniel: Was ist dran an der Sache? 

Kannst du mir 3-4 Fragen beantworten?


DANIEL: 

Klar. Aber lass doch lieber einfach telefonieren. Ich fahre gerade nach Wien und hab Zeit. 


Das letzte Mal habe ich Daniel bei uns zuhause in Berlin beim Abendessen gesehen. Das war Anfang 2022 und ich war sehr beeindruckt, wie er seine Zahlen im Kopf hatte. Welche Mitarbeiter auf wie viel Quadratmetern stehen dürfen, wie viel Ware da sein muss, wie das Sortiment aussehen muss, wie viel Umsatz jeder Quadratmeter bringen muss. Am Tag zuvor hatte er in einem Panel beim 202030 The Berlin Fashion Summit von seiner Vision erzählt, wie er Second Hand lokal sourcen, etwas für die Jugend tun und das System verändern will. In zwei Jahren hatte Daniel 16 Filialen eröffnet, ich hatte keinen Grund, an seinen Fähigkeiten und vor allem an seinem Mut zum Risiko zu zweifeln. Das Wachstum schien mir sehr schnell zu gehen, aber er schien eine klare Vision zu haben. Wir sprachen aber nicht im Detail über die Leute in seinem Team, wieviel Erfahrung sie haben und vor allem, wer seine Partner und seine Wachstumsstrategie waren. Im Secondhand Bereich sind Connections heilig und keiner gibt gerne seine Quellen oder Partner preis. Diesmal wollte ich aber definitiv mehr wissen.


Daniel Bayen aus der Westdeustchen Zeitung 2021

Also haben wir telefoniert. 


Meine erste Frage aber war: Wie geht es dir? Er antwortete gut, bzw. jetzt besser. Er ist überrascht, dass er so in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist, dass corrective.org über ihn schreibt und seinen Fall recherchiert hat, weil er ja kein Einzelfall sei. Ein bisschen höre ich heraus, dass er das nicht nur krass findet, sondern auch ein bisschen cool. 


Meine nächste Frage ist gleich, ob an der Sache was dran ist und er bestätigt das. Er habe fahrlässig gehandelt und wissentlich Neuware bzw. Fakes verkauft. 


Wie es dazu kam, wollte ich wissen. Er erzählte, dass er das erste Mal nach Karachi in Pakistan gereist ist, nur um vor Ort gute Vintage-Ware zu finden. Wer dieses Handelszentrum kennt, weiß, dass sich dort einer der größten Altkleidersortierer der Welt befindet. Als junger Deutscher hatte er schnell Leute um sich, die ihm sagten, er solle nicht hier oder dort kaufen, sondern lieber bei ihnen. "Kauf da nicht, der verkauft nur Fälschungen." Damals sei er zum ersten Mal mit dem Thema Fakes in Berührung gekommen, vorher habe er gar nicht gewusst, dass es so etwas gibt, also dass man Vintage Fakes machen kann. Das muss so Ende 2021 gewesen sein, das war der Höhepunkt des Wachstums für Strike. 



Als die Verkaufszahlen schlechter wurden, fehlten vor allem die Highlights für die Shootings. Gerade für den neuen Kölner Store wollte man zeigen, wofür Strike steht: coole Vintage-Ware und die kommt vor allem von den angesagten Vintage-Brands. Und diese Teile waren schwer zu bekommen. Er hatte die Nummern von den Kontakten in Pakistan und bestellte neue, gefälschte Vintage-Brand-Stücke für die Shootings. Danach hat er anhand der Styles den Mitarbeitern erklärt, wie man Fakes erkennt ....... und dann habe er diese an die Mitarbeiter weitergegeben. Er fügte hinzu: “Was sollte ich sonst mit ihnen machen? Zerstören?”


Das Shooting und der neue Stores halfen nicht, die Zahlen wurden schlechter, aber er war mit Strike gerade auf Expansionskurs. Er reitete eine Welle des Erfolgs, galt mit gerade mal 21 Jahren als Hoffnungsträger des Handels in Nordrhein-Westfalen und verhandelte mit C&A: “Ich wollte einfach nicht, dass es vorbei ist. Strike war meine Familie geworden, mit allen Mitarbeitern. Ich liebte den Vibe, ich liebte die Story und wollte, das es funktioniert und weiter geht. Ich habe nicht gezielt nach einer Lösung in den Fakes gesucht, aber ich habe die Fakes nicht aussortiert. Die Ballen mit dem höchsten Anteil an Fakes brachten den meisten Umsatz und hielten uns am Leben. Persönlich habe ich davon nicht profitiert und mich berreichert.”


Ich fragte, glaubst du, man muss Fakes untermischen, damit man die andere Ware verkauft?

“Ich würde sagen, es waren höchstens 1-2% neu produzierte Fakes bei uns mit dabei. Diese haben und geholfen, dass sich mehr  andere Second Hand Teile verkauft. Die Kids kommen wegen den Highlights und kaufen dann auch Anderes.”  


Während des Gesprächs beschloss ich, nicht mehr gezielt herausfinden zu wollen, wie es genau abgelaufen war - wer auf die Idee gekommen war, Vintage-Fakes unter die Ware zu mischen: der pakistanische Händler oder er. Ob Daniel gezielt bestellt hat oder der Händler die Fakes untergemischt hat, um den Preis der Ballen für Strike teurer zu machen, ist eigentlich egal. Wahrscheinlich trifft beides zu und die Sache hat sich gegenseitig befruchtet. Daniel hat zugegeben, dass er es wusste und tolerierte. Wenn man der corrective.org Recherche glaubt, hat er gezielt bestellt. Eben wie jeder Einkäufer eines Herstellers oder Mode-Kette es tut. Nun wolte ich aber wissen, was ist schwerwiegender, die Täuschung der Endkunden oder der Markenrechtsverstoß?


Daniel hat gesagt, er wurde wegen des Markenrechts-Verstoßes angeklagt und verurteilt, nicht wegen Kundentäuschung. Später meinte er, er ist sich nichtmehr so sicher, ob es nicht doch auch wegen Betrug war, denn das Urteil liegt schon einige Monate zurück.


Ich möchte jetzt noch wissen, ob er ein Einzelfall ist oder ob das in der Branche normal ist. In der Westdeutschen Zeitung steht, nach ihm seien noch mehr Deutsche gekommen, die ähnliches wollten. Im Second Hand Markt sind 20%-30% Fakes, weil sie schon im Neuwarenmarkt sind, sagt er. Es ließe sich nicht vermeiden, auch Fakes zu verkaufen. Er geht nicht näher darauf ein, ob er weiß, dass andere gezielt neue Brand-Vintage Fakes bestellen. Es ist aber zu vermuten, dass Daniel kein Einzelfall ist, denn Daniel ist ja nicht der erste Jungunternehmer, der auf einer Erfolgswelle surft und dann einiges tut, um oben zu bleiben. Die Fake Industrie in China und Südostasien ust groß (siehe Reportagen die unten verlinkt sind) und nicht selten suchen sie sich junge Menschen die ihre Fakes vermarkten.


Ob er ein schlechtes Gewissen hat, bzw. das bedauert, was da passiert ist, wollte ich dann noch gerne wissen. 


Er sagte, er bedauere drei Dinge. Er bedauere der Second Hand Branche und den anderen Playern, die er kenne, mit der Geschichte geschadet zu haben. Er bedauere auch, die Kunden teilweise getäuscht zu haben. Aber er bedauere vor allem, sich selbst nicht treu geblieben zu sein. Er sei angetreten, um das System der Mode zu verändern und sei selbst ein Teil davon geworden. Das hätte er sich am Anfang nicht vorstellen können. Irgendwann war der Druck, Strike am Laufen zu halten, so groß, dass es ihm fast egal war, was er tun musste. Am Ende ging es ihm selbst nicht mehr gut.

Dem fügte er aber noch hinzu, er habe aber kein schlechtes Gewissen gegenüber den Marken. Diejenigen, die den Jugendlichen durch Marketing einreden, dass sie ihre Styles und Logos brauchen, um dazuzugehören. Jeder will dann diese Sachen haben, um dazuzugehören, und Daniel wollte den jungen Leuten die Möglichkeit geben, zum Second-Hand-Preis dazugehören zu können.  Ich höre seinen Unmut über die Industrie in seiner Stimme.


Am Ende unseres Gesprächs frage ich ihn, ob er noch an Second Hand glaubt. Ja, sagt er, während er durch einen Tunnel in Österreich fährt, als wolle man ihm nochmal eien Minute zum überlegen geben, aber er glaubt nicht an Reimporte und Vintage. “Ich glaube an lokale Second Hand Läden, an Charity Shops und P2P Plattformen." Second Hand wird überleben, aber Vintage ist ein Trend und hat mit dem Problem der Endlichkeit zu kämpfen. Es gibt nicht genug Ware oder es liegt nicht im Trend.


In einem Chat zu dem Thema mit Thekla Wilkening zu diesem Thema bringt sie es für mich auf den Punkt:


"Im Grunde ist das Problem wirklich immer wieder, dass die Mode gewissen Trends unterliegt, dass alle gleichzeitig das Gleiche haben wollen und dass Secondhand zwar Individualität vorgaukelt, aber eben nicht wirklich individuell ist, sondern die Nachfrage auch dann schnell das Angebot dominiert."


Daniel will in Zukunft mit etwas Neuem durchstarten, außerhalb der Mode. Iconic Shit sagt er, ich schmunzel. Er sagt, er sei ein Macher und haue nicht einfach ab. Wer sich von ihm persönlich betrogen fühlt, soll sich einfach bei ihm melden. Man werde schon eine Lösung finden. 


Mit diesen Worten verschwindet er im nächsten Tunnel auf seinem Weg nach Wien.  


Was mir nach unserem Gespräch im Kopf bleibt, ist: Wie groß ist die Gefahr, dass jeder, der Vintage-Ware nach Europa importiert, sich unwissentlich durch Fakes strafbar macht? Und was sind eigentlich Fakes? In der Textilindustrie ist es bekannt, dass Markenhändler B-Ware nicht abnehmen und die Händler sie anderweitig verkaufen. Es ist auch bekannt, dass Fabriken, die alle Designs, Materialien und Werkzeuge der Marken vor Ort haben (das ist besonders im Schuhbereich der Fall), in den Low-Production Phasen immer ein paar Stück mehr produzieren, die dann auf dem Schwarzmarkt verkauft werden. Diese Ware würde niemand als Fake später im Second Hand Markt erkennen. Eigentlich sind es auch keine Fakes, sondern inoffizielle Überproduktionen. Und wenn man sie findet und aussortiert, was macht man damit?


Dafür brauchen wir Verantwortung der Marken auch für ihre B-Ware.   

Dafür brauchen wir Regularien, wie damit umgegangen werden muss. 

Dafür braucht die Second Hand Industrie Geld, weil die Echtheitsprüfungen teuer sind.


Zurück zum Thema: Macht man sich denn jetzt als Verkäufer von Vintage-Ware strafbar, wenn man unwissentlich Fälschungen verkauft? Mein erster Instinkt war, Robin von Vinokilo zu fragen. Wie gehen sie mit dem Thema um? Er sagt, dass sie auch immer wieder Fakes finden, zum Beispiel von Burberry. Sie kontrollieren das sehr genau, aber ob sie wirklich alles finden, das kann er nicht zu 100% garantieren. Und was macht man dann mit den Fakes? Am Anfang hat Robin sie mit dem Vermerk Fake verkauft. Mittlerweile ist die Qualitätskontrolle seiner Einkäufer vor Ort so gut, dass sie kaum noch welche finden. 


Der Handel mit Secondhandware ist nicht einfach. Daniel hat mit Strike neue Maßstäbe gesetzt, es der Branche aber mit seinem jugendlichen Tatendrang und Leichtsinn nicht leichter gemacht.


Offen bleibt jedoch die Antwort auf die große Frage, die Daniel mit Strike für die Branche aufgeworfen hat.


Wie geht man als Seocnd Hand Händler mit Fake Ware um? UND macht man sich rechtlich strafbar wenn man unwissentlich Fakes verkauft?



Was denkt ihr?

  • Täter

  • Opfer



Quellen:


Telefonat mit Daniel 25.04.2024




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