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Gespräche über Konsum müssen raus aus der Oberflächlichkeit – Interview mit Thekla

Aktualisiert: 21. Okt. 2020


Thekla Wilkening ist DIE Vorreiterin für Mietmode in Deutschland. Ich gebe zu, es dauerte eine Weile, bis ich all meinen Mut zusammen nahm und sie um ein Interview bat. Fast ein Jahr hatte ich ihre Karriere und den Einfluss auf die Miemode-Branche da schon beobachtet. Schließlich nahm ich das Aus des Miet-Commerce der Relenda GmbH im Sommer zum Anlass, sie anzusprechen.


Wieso mir dieses Interview so wichtig ist? Weil man von Theklas Geschichte so viel lernen kann. Weil ich es so sehr inspirierend und motivierend finde, wie Thekla trotz Investorendruck, Insolvenz, Corona-Krise und vielem mehr, sich den Glauben an eine Sache bewahrt und an ihren Überzeugungen festhält.



2012 hast du in Deutschland zusammen mit deiner Geschäftspartnerin Pola Fendel die Kleiderei gegründet: Das erste Geschäft, in dem man Mode für einen gewissen Zeitraum mieten konnte. Wie kam es zu der Idee?


Im Prinzip war es unsere Lösung auf ein Problem, mit dem wir uns rumgeärgert haben: 2011 bin ich nach Hamburg gezogen um dort Bekleidungstechnik und Management zu studieren. Davor hatte ich schon in Köln die Ausbildung zur Bekleidungstechnischen-Assistentin gemacht. Ich habe mich soweit ich denken kann schon immer mit nachhaltiger Mode auseinandergesetzt und habe einen persönlichen Bezug zum Nähen. Kleidung die selbstgenäht ist, war für mich schon immer kostbar. Ich habe früh begonnen Secondhand Mode zu kaufen und mich mit Alternativen zu kommerzieller Mode auseinanderzusetzen, wie z.B. nachhaltiger oder recycelter Kleidung. Vor fast 10 Jahren steckte die Branche aber noch in den Kinderschuhen und es gab keine systemrelevanten ‘Lösungen’ die irgendwie massenmarkttauglich gewesen wären. Wir haben damals keine Möglichkeit gesehen, möglichst energiesparend und einfach nachhaltige Kleidung zu konsumieren, denn nachhaltig einzukaufen kostet viel Kraft. Man muss sich informieren und damals gab es dazu einfach zu wenig Information und Auswahl.


So kamen Pola und ich auf die Idee mit der Kleiderei. Wir hatten die Vision für einen Laden, in den man noch schnell nach der Arbeit gehen kann, in dem man sich wohlfühlt und sich spontan schöne Kleidung aussucht, in welcher man danach direkt ausgehen kann. Die Kleiderei sollte dafür sorgen, dass man Abwechslung und den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen vereinen kann. Wir dachten, es ist wirklich einfach und damit auch skalierbar und massentauglich.

Nachhaltige Kleidung zu kaufen ist nämlich eine langfristige Entscheidung und Mode hat mit langfristiger Entscheidung manchmal gar nichts zu tun.

Klingt total sinnvoll und erfolgsversprechend. Was passierte dann?


Wir sind in das Konzept der Kleiderei hineingewachsen. Da wir aber eben die Mädels waren, die wir waren, haben wir alles lernen müssen, während wir es schon gemacht haben. Für Businesskurse nebenbei blieb keine Zeit, denn wir hatten von Anfang an so viele Kundinnen dass wir komplett ausgelastet waren. Wir waren umgeben von echten Menschen, die unser Konzept nutzten und es gut fanden. Durch eine Crowdfunding-Finanzierung haben wir die Kleiderei dann auch online gebracht. Nach ca. sechs Jahren ist uns das Ganze aber über den Kopf gewachsen. Es waren so viele Baustellen offen, dass wir nicht überall gleichzeitig anpacken konnten. Wir hatten damals ca. 5 Angestellte und das Ganze lief einfach nicht effizient genug. Ich wollte eigentlich eine sechsmonatige Business-Pause einlegen um alles aufzuräumen und nochmal sauber aufzusetzen. Mit dem vorhandenen Budget konnte ich die Zeit aber nicht überbrücken und wir mussten Insolvenz anmelden. (Heute wird die Kleiderei als sationärer Laden mit neuer Ausrichtung von Lena Schröder geführt. Mehr zur Kleiderei findet ihr bald hier auf dem Blog))


Danach hast du geholfen Stay Awhile aufzubauen, wie kam es dazu?


Ich habe den Geschäftsführer der Relenda GmbH zu dem später auch Stay Awhile gehören sollte, bei einem Panel im Jahr 2016 kennengelernt. Als es mit der Kleiderei Probleme gab, habe ich in meinen Netzwerk gefragt, ob jemand Tipps hat, die mir vielleicht helfen könnten. Es war auch ein Gedanke damals, die Kleiderei zu Relenda umzusiedeln. Relenda hatte ja schon Kinderkleidung und Umstandsmode als Miet-Konzept und es kam uns logisch vor, dass wir die Damenmode mitbringen könnten. Aber das deutsche Insolvenzrecht hat uns die Zeit dafür nicht gegeben. Bei sowas bin ich sehr korrekt und wollte nichts falsch machen.


Als es aber klar war, dass wir alle immer noch von dem Konzept Mietmode überzeugt waren, haben wir innerhalb von neun Monaten Stay Awhile aufgebaut. Also fing ich bei Relenda an, um mit meiner Erfahrung dort das Damen-Mietsegment aufzubauen.


Thekla, als ich dich zum Interview beten wollte, wollte ich ja eigentlich über den Erfolg der Miet-Mode reden. Nur Tage darauf, gaben Stay Awhile und auch Kilenda bekannt, den Miet-Service einzustellen. Auch auf der Plattform RE-NT tut sich seit drei Monaten nichts mehr und der Miet-Service von Lyght Living für modische Möbel wurde auch eingestellt. Denkst du, Mieten ist doch nicht das richtige Konzept für Nachhaltigkeit, vor allem bei Mode? Müssen und wollen wir vielleicht doch etwas besitzen?


Ich kann auf jeden Fall sagen, dass wir Deutschen uns vergleichsweise langsamer an das Mieten gewöhnen. In den USA und in China sind Kunden viel schneller damit warm geworden und wechseln zwischen den verschiedenen Abo-Optionen fröhlich hin und her. Dort fährt man eher einen Hybrid- Ansatz was den Modekonsum betrifft: Mieten & Kaufen, nicht das eine oder das andere.


Was ich als nicht förderlich für das Miet-Konzept-Geschäft empfunden habe, war die Beschaffung von Krediten und den Druck der Investoren. Es ist ein neues Geschäftskonzept, da kann man nicht genau vorhersagen, wie schnell es wächst. Bei Mietmode hast du einen Return On Invest von 10 Monaten, bei herkömmlichem Modeverkauf liegt der Wert bei etwa zwei Monaten. In Europa scheint es wenig Mietkonzepte zu geben, vergliechen mit den vielen erfolgreichen Konzepten in USA und Asien.Vielleicht ist das Thema dort besser gelöst oder der Umsatzdruck geringer. Aber klar, der Kunde spielt auch eine Rolle. Mein Gefühl sagt, dass wir keine Wertschätzung mehr für Dinge haben, die nicht neu produziert und verkauft werden.


Nachdem du jetzt bereits 8 Jahre mit dem Konzept der Miet-Mode gearbeitet hast, wie ist deine Prognose, wie es damit in Deutschland weitergeht?


Du bist nicht die Einzige, die mir diese Frage stellt. Wir reden jetzt konkret über 3-4 Firmen, die ihren Service eingestellt haben. Dass es in Deutschland nicht funktioniert ist damit ja nicht empirisch bewiesen. Aus meiner Sicht lag es nicht an der fehlenden Nachfrage, dass die Konzepte eingestellt wurden. Die Wirtschaftlichkeit spielt eine große Rolle und dass man einfach noch testen muss. Es gibt ja keine Benchmarks, bei denen man sich etwas abschauen kann.

In den wenigsten Erfolgsstories sind es die Ersten oder Zweiten die den Durchbruch schaffen. Alle Unternehmen die vorher gescheitert sind, hinterlassen wichtige Erkenntnisse und Lektionen und dieses Wissen muss dann auch zugänglich für die nächsten gemacht werden. Nur so entwickelt sich etwas Funktionierendes.


Also denkst du es wird in Zukunft wieder mehr neue Konzepte zum Mieten geben?


Ich mach mir keine Gedanken darüber, dass das Segment für Deutschland ganz tot ist, z.b. gibt es ja Unown. Ich hatte neulich ein Treffen mit der Geschäftsführung von Unown und die haben selbst gesagt, dass sie sich eine ganze Menge von der Kleiderei abgeschaut und dadurch sehr profitiert haben. Die sind jetzt im Axel Springer Accelerator und sind ganz anders an die Sache herangegangen. Auf die setze ich gerade. Sie können das schaffen, was wir nicht geschafft haben. Je mehr du dir abschauen kannst, umso mehr Arbeit sparst du.


Hast du da ein Beispiel?


Ja, z.B. Preise und Abo-Größen. Wir haben den Leuten am Anfang in der Kleiderei zwei Teile für eine Woche geliehen. Nach unseren Richtlinien sollten die Kunden jede Woche kommen. Die Kundinnen haben uns öfter gesehen, als ihre eigenen Freunde.


Ich weiß, dass die großen Unternehmen, wie ABOUT YOU und Zalando, eher auf ReCommerce setzten und nicht auf Vermietung. Trotzdem liegen die Konzepte gar nicht so weit auseinander. Als Kunde kaufe ich etwas von ihnen für einen bestimmten Preis und kann es dann für einen niedrigeren Preis an die Plattform zurückverkaufen. Die Differenz ist quasi die Miete. Nur trägt der Kunde in diesem Fall das Risiko. Wenn er das Teil beschädigt, sein Eigentum, dann fällt sein Wiederverkaufspreis oder die Wahrscheinlichkeit es wieder loszuwerden. Von der Geschäftsidee ist Recommerce vielleicht schlauer als Vermietung. Sogar im Steuersystem macht es einen Unterschied.


Ich denke, dass ReCommerce auch Vorteile hat, da der Kunde lernen muss Verantwortung für die Dinge zu übernehmen, die er besitzt. Man bekommt leider auch negatives aus dem Miet-Mainstream in den USA zu hören. Da soll es vorkommen, dass Kundinnen nach einer Feier die Kleidungsstücke mit Erbrochenem darauf wieder zurück geschickt haben. Die Hauptsache war für den Kunden es im Zeitfenster zurückgeben und keine extra Kosten zu haben. Vielleicht ist das Konzept des Kaufens und Wiederverkaufs, das bessere Konzept um den Menschen den achtsamen Umgang, also die Verantwortung mit Textilien, beizubringen. Wenn ich mir heute ein teures Kleid kaufe und es morgen nach einer Feier reinigen lasse und es für fast den Originalpreis noch verkaufen kann, ist das doch super. Falls man dann fahrlässig damit umgeht, sieht man direkt welchen Wert man zerstört hat. Dieses Bewusstsein hilft dann auch, in einem Mietmodell die Sachen besser zu behandeln.


Du hast ja vor kurzem deine Webseite neu gelauncht. Dabei setzt du einen starken Fokus auf Zirkularität. Ich selbst bin stummes Mitglied von Cradle to Cradle’ und warte darauf, dass die Konzepte abheben. Aber leider warte ich jetzt schon fast 16 Jahre. Wo denkst du, stehen wir da gerade? Sind wir 'ready for take-off' oder noch ganz am Anfang?


Cradle to Cradle nenne ich immer die Creme de la Creme. Die haben schon sehr hohe Ansprüche. Ich denke, Unternehmern müssen zur Verantwortung für ihre Produkte zu übernehmen über den Verkauf hinaus. Sonst wird sich nichts verändern. Es gibt viele gute Ansätze und häufig einzelne Köpfe in Abteilungen, die sich einsetzten, aber noch keine große Bewegung. Und solange sie nicht gesetzlich gezwungen werden, werden Unternehmen keine 100% kreislauffähigen Produkte für den Massenmarkt entwickeln.


Ich beobachte neben Unternehmen auch die Textilsortierbetriebe und -sammler. Immer wieder in vielen Konzepten wie Collect, Sellpy und AFound involviert: die H&M Gruppe


Mich würde es nicht wundern, wenn H&M das komplette Fast Fashion Segment in eineigen Jahren herunterfährt und die neuen Konzepte, die sie gerade um die Nachhaltigkeit und Zirkularität und Innovation bauen, auffahren. Dann wird einfach keiner mehr über das Alte reden.


Du bist selbst Mutter. Was würdest du dir persönlich wünschen, in welche Richtung sich unser Konsum verändern soll?


Ich habe in meiner Familie früh gelernt gute Dinge zu kaufen, nach dem Motto: 'Wir sind zu arm um billig zu kaufen'. Natürlich weiß ich, dass wenn man wirklich arm ist, man auch nicht teuer kaufen kann. Aber mir geht es darum, dass sich die Leute die besten Sachen kaufen sollen, die sie sich leisten können. Die sind nämlich auch besser für unsere Gesellschaft. Diese Message versuche ich meinem Sohn weiterzuvermitteln.


Uns ist jetzt nach 10 Jahren der Staubsauger kaputt gegangen und wir haben einen guten Neuen gekauft. Im ersten Moment tun 300 Euro für einen Staubsauger schon weh, aber man kann sich sicher sein, dass er auch lange funktioniert.


Außerdem würde ich mir wünschen, dass Konsum-Gespräche weniger mit Oberflächlichkeit assoziiert werden, dass sie wieder tischfähig also salonfähig werden. Jede Konsumentscheidung hat Auswirkungen auf die Umwelt hat auf andere Mitmenschen, auf das eigene Leben und das eigene Selbstwertgefühl. Mir persönlich ist Konsum wichtig, denn ich freue mich wirklich über schöne Sachen. Und ich finde man muss sich trauen über Konsum zu sprechen und Kaufentscheidungen wieder mehr zu diskutieren. Sich gegenseitig zu informieren und auch informieren zu dürfen, ohne belehrend zu sein. Gute Informationen sind mühsam zu bekommen, da ist es doch umso schöner diese teilen zu dürfen, wenn der andere sie schon hat.


Man fühlt sich einfach besser, wenn man etwas kauft worüber man sich reichlich Gedanken gemacht hat. Schöne Dinge sollen den Alltag bereichern und auch jedes Mal ein kleiner Moment der Freude sein, wenn man sie verwendet.Von der Kleidung über die Bettwäsche bis zur Trinkflasche udn Büchern. Dann können wir immer noch eine funktionierende Wirtschaft haben; aber eine Wirtschaft der 'Guten Dinge' und der guten Kaufentscheidungen. Das wünsche ich mir für die Welt und auf dem Weg dahin, würde ich mich gerne beteiligund auch leiten.
Thekla Wilkening – Bild von Denys Karlinksyy


Vielen Dank Thekla für dieses lehrreiche Interview, ich konnte sehr viel daraus mitnehmen. Derzeit beratet Thekla unter anderem Unternehmen, ünterstütz das Freuenhofer Insitut im Wear2Share Projekt und arbeitet bei der NEONYT einer nachhaltigen Fashion Hub mit. Mehr über sie könnt ihr auf ihrer Webseite erfahren.



Nach dem Interview habe ich noch einige Mietkonzepte aus den USA und Asien herausgesucht. Hier ein paar davon:


Rent the Runway USA, Nuuly von Urban Outfitters US, Covetella Singapore, MadThread Singapore, YCloset China, Style Lease and Style Theory, The Mode United Arab Emirates and in Mumbai / India ( hat sogar Abendmode für Schwangere), Yeechoo Hong Kong, wearwardrobe USA, Endlesswardrobe Ue UK


Viele dieser Unternehmen haben vor allem Abendmode oder Kleider für besondere Anlässe. Vielleicht haben wir Deutschen nicht genug Gelegenheiten uns schick anzuziehen? Aber auch die H&M Gruppe hat für eine Testphase in Asien (COS) und Stockholm (H&M) Kleidung vermietet. Ich habe leider nicht herausfinden können ob es weiterlaufen soll, oder wie die Testphase lief. Es bleibt also spannend in diesem Bereich.







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